Trauerarbeit, therapeutische Gesprächsführung

Ebikon, 16. Oktober 2024 — Trauer anerkennen, dem Trauerprozess einen Raum bieten, das ist das eine, das Dozentin Regula Winistörfer unterrichtet. Das andere: das Hören auf die Bildhafte im Gespräch. Regula Winistörfer im Interview.

Foto vom Meer aus Tauchersicht Richtung Himmel. Bild: Unsplash

Wenn jemand das Meer erwähnt, wie sieht es für diese Person aus? Ruhig, voller hoher Wellen? Sandstrand, Klippen, Boote, Segel? Aus Tauchersicht? Regula Winistörfer achtet auf Bildhaftes und lässt KlientInnen Überraschendes über sich entdecken. Bild: Unsplash

Regula, Trauerarbeit, heisst das zuhören und reden? Oder ist Trauerarbeit die Anwendung sozusagen handfester craniosacraler Techniken?

Es ist das alles. Zunächst geht es um präsentes, aufmerksames Zuhören mit aller Anteilnahme. Dabei gehört der Raum des Redens der oder dem Trauernden. Grundlegend ist es, der KlientIn einen geschützten Raum anzubieten, in dem sie mit dem Verlust und dem Schmerz sorgsam in Kontakt treten und gleichzeitig eine neue Beziehung zum Verstorbenen aufbauen kann. Das ist das Ziel dieser Trauerarbeit, nämlich Trauer als natürlichen Prozess nach einem Verlust anzuerkennen.

Und handfest wird es auch? Kommen Cranio-Techniken zum Einsatz?

Ja. Es ist wichtig, auf die Reaktionen des autonomen Nervensystems einzugehen und sie zu verstehen. So lässt sich die KlientIn in ihrem Prozess stabilisierend begleiten. Dafür nutze ich Handhaltungen, die aus der Polyvagal-Theorie entwickelt sind. Das sind handfeste Cranio-Techniken.

Inwiefern wirst du eigentlich auch traurig, wenn du eine Trauer-KlientIn behandelst?

Das ist ein wichtiger Aspekt. Es ist nicht hilfreich, wenn die TherapeutIn selber traurig wird. Oder vielleicht sogar mitweint. Sie ist dann nicht wirklich präsent für die KlientIn, nicht in der Lage, für einen sichern Raum sorgen. Ich lasse mich innerlich berühren und schwinge mit, aber ich leide nicht mit. Um Trauernde zu begleiten, ist es wichtig, sich mit dem Tod, dem Gefühl der Ohnmacht und immer wieder mit seiner eigenen Geschichte auseinander zu setzen. Sich darin zu üben, in die ruhende Mitte zu finden, ermöglicht es, schwere Geschichten zu halten.

Gehen wir zu deiner Weiterbildung in Sachen therapeutischer Gesprächsführung. Hier geht es um den sogenannten Idiolekt. Das lässt sich mit Eigensprache übersetzen. Was ist das? Und wenn es die eigene Sprache von jemand anderem ist, wie verstehen sie dann andere, die diese eigene Sprache nicht sprechen?

Schau, was du unter einem Sprachbild verstehst, ist wahrscheinlich etwas anderes, als ich darunter verstehe. Einfach, weil du andere Erfahrungen hast.

Hast du ein Beispiel?

Nimm Meer. Oder Wurzel. Um dein ganz eigenes Wurzel-Bild – und damit eben dich – besser zu verstehen, frage ich dich nach diesem Bild und du erzählst davon. Bei Wurzeln denke ich zum Beispiel an dicke, knorrige Eichenwurzeln. Und du denkst an diese ganz feinen, nahezu zarten Wurzeln deiner Zimmerpflanzen. Das sind ja schon sehr unterschiedliche Bilder. Und so ist deine Frage, wie man sich überhaupt versteht, sehr berechtigt. Eigentlich ist das ein Wunder. Nicht nachzufragen und zu wissen glauben, was der andere meint, ist die Ursache für viele Missverständnisse. Wenn ich nachfrage: Was meinst du damit? Beschreibe einmal dein Meer, deine Wurzel?, dann zeigt sich die einzigartige Welt des andern und wir kommen einander näher.

Woher weisst du, bei welchen Worten du nachfragen solltest?

Ich achte mich auf Worte, die besonders betont sind oder besonders klingen. Auf Worte, die lauter oder leiser gesagt werden. Es ist wie einer Musik zu lauschen. Klingt etwas in mir an, frage ich nach. Ich höre nicht nur mit meinen Ohren zu, sondern auch mit meinem Augen, meinem Herzen, meinem ganzen Körper. Das hat sehr viel mit achtsamen präsenten Zuhören zu tun. Da denke ich oft an Momo, die Titelfigur von Michael Endes Roman. Momo kann zuhören wie sonst niemand. Sie hört so zu, dass der Erzählende fühlt, wie in ihm auf einmal Gedanken auftauchten, von denen er nie geahnt hatte, dass sie in ihm stecken. Momo hört so zu, dass sich der Erzählende gesehen und gehört fühlt. Das ist ein essentielles  Grundbedürfnis von uns Menschen. So verändert Momo sogar die Welt.

Die Gesprächstechniken, die du unterrichtest, inwiefern erweitern sie die KT-Gesprächstechniken?

Sie erweitern, vertiefen, ergänzen sie. Dieses Idiolektikische passt mega gut auf das, was du in der KT zu Gesprächsführungen lernst. Es nimmt die Einzigartigkeit der KlientIn auf. Die Führungshoheit bleibt bei der KlientIn. Sie ist aktiv mit dabei, das Gespräch richtet sich an das innere Wissen der KlientIn. Und es ist ressourcenorientiert, das ist ebenfalls eine KT-Haltung.

Sind diese Kurse nur für Cranio-TherapeutInnen? Oder auch für KT-TherapeutInnen anderer Methoden? Braucht man ein ED?

Die Kurse sind für alle KT-TherapeutInnen. Ein eidg. Diplom braucht es nicht. Es reicht sogar, wenn du im letzten Drittel deiner KT-Ausbildung bist, also 110 Stunden hast.

Diese Techniken mit bildhafter Sprache faszinieren dich, man merkt das. Was ist genau das Faszinierende?

In Bildern verbirgt sich ganz viel Unbewusstes, man findet zum inneren Wissen des Menschen. Das hört sich schwer an, aber es ist das pure Gegenteil: Das Idiolektische gibt dir eine unendlich leichte, spielerische Art, mit Menschen zu arbeiten. Das ist nichts Verkopftes. So öffnet sich auch etwas Abstand vom Prozess, es gibt einen Aussenblick. Und damit öffnet sich auch die Möglichkeit, auf etwas Unerwartetes zu stossen, etwas Überraschendes, oft die Lösung. Das gibt Leichtigkeit. Die Idiolektik ist von PsychologInnen mitentwickelt. Du kommst damit mega schnell und gut in eine therapeutische Beziehung. Diese Gesprächsführungstechnik ist unendlich reich, leicht und locker.

Danke, Regula.

Bitte, Martin.

Portraitbild von Cranio-Ressortleiterin Regula Winistörfer. Foto: Heilpraktikerschule Luzern

Regula Winistörfer

Tanz- und Gymnastiklehrerin SBTG, dann in die Craniosacral-Therapie. Eidg. dipl. KomplementärTherapeutin in der Methode Craniosacral-Therapie. Craniosacral-Dozentin und Leiterin dieses Ressorts. Für die OdA KT sowie den Verband CranioSuisse ist sie Supervisorin. Ebenfalls ist sie Trainerin des Programms «Achtsame Berührung – kinderleicht». Ihre eigene Praxis führt sie in Rüti bei Büren (BE):
www.cranio-rw.ch

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So fängst du an, so lange geht's und das hast du davon :-)

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https://www.heilpraktikerschule.ch/newsroom/news-detail/news/2024/10/16/trauerarbeit-therapeutische-gespraechsfuehrung