«Wir arbeiten nicht alters-, sondern entwicklungsorientiert.»
Ebikon, 30. Juli 2024 — Thomas Wernicke unterstützt mithilfe der nadellosen Kinderakupunktur Shōnishin die natürliche Meridianentwicklung bei Kindern. Im Interview erklärt er, wie Shōnishin Entwicklungsverzögerungen ausgleicht und stellt sein internationales Hilfsprojekt «Ein Lächeln für Kinder» vor.
Spielend wachsen: Shōnishin unterstützt Kinder, sich harmonisch und gesund zu entwickeln. Verhaltensauffällige Schulkinder zeigen sich oft in ihrer Meridianentwicklung verzögert. Um diese Entwicklung anzupassen, empfiehlt Thomas Wernicke die japanische Kinderakupunktur Shōnishin. Auch in seinem Hilfsprojekt «Ein Lächeln für Kinder» bringt er Shōnishin zum Einsatz, und zwar bei geflüchteten und traumatisierten Kindern, gemeinsam mit einem Team mit weiteren Fachleuten. Foto: pch.vector auf Freepik.
Thomas, du bist Japan-Spezialist. Was ist aus deiner Erfahrung vielleicht die überraschendste Erkenntnis zur altersgemässen Entwicklung aus Shōnishin-Sicht?
Wir arbeiten nicht altersorientiert, sondern entwicklungsorientiert. Zum Beispiel entstehen aus Sicht der Meridianentwicklung im Kindergartenalter dynamische Bewegung und dynamischer Emotionsausdruck im Vordergrund. Jeder, der an einem Kindergarten vorbeiläuft, kann das beobachten. Es ist laut, es wird gelacht, geschrien, gestritten und die Kinder sind in ständiger Bewegung. Das gehört in dieses Entwicklungsalter. Zum Problem wird das, wenn Kinder in diesem Entwicklungsstand in die Schule kommen.
Warum wird das zum Problem?
In der Schule wird erwartet, dass die Kinder über eine längere Zeit stillsitzen können, dass sie zuhören können, dass sie abwarten können, dass sie gewisse soziale Kompetenzen mitbringen und dass sie kompromissfähig sind. Haben sie diese Schulfähigkeiten noch nicht erworben, verharren also noch auf dem Entwicklungsstand eines Kindergartenkindes, dann werden diese Kinder oft als verhaltensauffällig abgestempelt.
Das heisst, sie verhalten sich eigentlich ihrer Entwicklung gemäss?
Richtig. Aus unserer Sicht befinden sie sich noch auf einer unreifen, kindergartenentsprechenden Meridianentwicklungsstufe und sind lediglich entwicklungsverzögert.
Wie geht Shōnishin mit diesen Kindern um? Es fördert die Meridianentwicklung?
Ja. Shōnishin behandelt Kinder, indem es nicht an den vordergründigen Symptomen arbeitet, sondern die Meridianreifung mit entsprechenden Shōnishintechniken unterstützt. Ziel ist es, dass die alters- und entwicklungsorientierte Entwicklung deckungsgleich werden.
Was ist die Stärke der nadellosen Kinderakupunktur Shōnishin? Im Vergleich zur Akupunktur mit Nadeln?
Auf den ersten Blick ganz klar: Es wird nicht gestochen. Und zweitens kommt Shōnishin einfach an. Kinder lieben die Technik, die in ihrer Qualität und Quantität an das jeweilige Alter angepasst wird. Manche nennen es die Homöopathie der Akupunktur.
Ist Shōnishin auf Kinder begrenzt?
Nein. Auch Erwachsene, zum Beispiel jene mit Nadelangst oder solche, die als sensitiv oder sensibel gelten, sind sehr froh, dass sie mit Shōnishin Zugang zur Akupunktur haben. Und nicht zu vergessen sind die – meist – alten Menschen, die Medikamente zur Hemmung der Blutgerinnung einnehmen müssen. Diese Kontraindikation der Nadelakupunktur entfällt im Shōnishin.
Bei uns kommen die TherapeutInnen eher von der chinesischen Medizin, wenn sie mit Akupunktur bzw. TuiNa arbeiten. Inwiefern eignet sich Shōnishin auch für sie?
Besonders dann, wenn sie mit Babys und Kinder arbeiten, ist das Verständnis der Meridianentwicklung in Kombination mit dem Wissen aus der Entwicklungsphysiologie eine enorm grosse Bereicherung.
Und für Shiatsu-TherapeutInnen? Shiatsu ist ja japanisch?
Auch ihnen fehlt meist das Wissen zur Meridianentwicklung. Und man sollte nicht vergessen: Kinder sind keine kleinen Erwachsenen – das gilt sowohl für Akupunktur als auch für Shiatsu. Die Techniken der Erwachsenenbehandlung auf Kinder zu übertragen ist ein Trugschluss, dem ich leider oft begegne.
Aus deiner langjährigen Tätigkeit, was ist deine schönste Erfahrung?
Mein Projekt „Ein Lächeln für Kinder“. Das ist ein standardisiertes Behandlungsprogramm auf der Basis von Shōnishin, um traumatisierte und belastete Kinder zu unterstützen und präventiv in ihrer Resilienz zu stärken. Dadurch werden Selbstregulation und die Widerstandskraft gegenüber Belastungen gestärkt.
Seit wann gibt es dieses Projekt?
Dieses Projekt wird seit 2022 bei geflüchteten Kindern zunächst aus der Ukraine, später auch aus anderen Ländern eingesetzt. Vorläufer des Projektes war der Einsatz von japanischen ShōnishinkollegInnen in Fukushima nach der Tsunami Katastrophe. 2023 wurde es in einem Flüchtlingslager auf Lesbos eingesetzt.
Kommt das Projekt auch in den deutschsprachigen Raum?
Ja. Aufgrund seines erfolgreichen Einsatzes wird es in diesem Jahr ab September in Zusammenarbeit mit der Kreisverwaltung des Rheingau-Taunus-Kreises durchgeführt. Fachkräfte aus dem therapeutischen, pädagogischen, medizinischen und sozialen Bereich, die mit Babys und Kindern arbeiten, werden in diesen spezifischen Shōnishin-Traumatechniken ausgebildet und gehen in Flüchtlingsunterkünften in Einsatz. Das Projekt wird evaluiert werden.
Danke, Thomas.
Gern.
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Thomas Wernicke ist Facharzt für Allgemeinmedizin, hat den Weg in die japanische Akupunktur gefunden. Von einem der bekanntesten und einflussreichsten Lehrer Japans erlernte er die Shōnishin-Akupunktur und unterrichtet heute an verschiedenen Schulen, auch in Japan.
www.aceki.de