BabyShiatsu: Eine Prise Zen

Ebikon, 2. Juli 2024 – Einen meridiantheoretischen Entwicklungsansatz verfolgt Karin Kalbantner-Wernicke. Und sie hat dazu eine immanent praktische Shiatsu-Weiterbildung entwickelt. Im Interview geht es um ein japanisches Sprichwort und ein Motto der Harvard University. Und Tipps für Eltern.

Foto von Gras, man soll ja nicht ziehen dran. Bild: Unsplash

Manches entwickelt sich selbst, man muss nicht daran ziehen. Das erste Lebensjahr ist das wichtigste. BabyShiatsu hilft, die Meridiane zu entwickeln, Bewegungsantworten zu lernen, Herausforderungen zu meistern, in die Mitte zu kommen. Bild: Unsplash

Karin, bei Babys und Kleinkindern geht es im Shiatsu natürlich um Shiatsu, um Entspannung, um Fülle und Leere, Meridiane, Akupunkturpunkte – und um viel mehr. Um was genau? Lässt sich das sagen?

Im BabyShiatsu legen wir die Grundlagen für die Entfaltung der Meridiane. Es geht also nicht um Punkte, Fülle, Leere usw. Vielmehr geht es um die Frage: Wie dürfen wir unsere Potentiale entfalten? Im Japanischen gibt es das Sprichwort „7-mal hinfallen, 8-mal aufstehen“. Diese Fähigkeit erwerben wir im ersten Lebensjahr und deshalb unterstützen wir mit BabyShiatsu die Meridianentwicklung.

Immer wieder hinfallen und wieder aufstehen, so entspannend hört sich das aber nicht an?

Tatsächlich ist Entspannung nicht unser Grundanliegen. Vielmehr geht es darum, dass BabyShiatsu eine gesunde Bewegungsentwicklung fördert. Aus diesem Grund erwarten wir nach einer Behandlung eine bestimmte Bewegung, wir nennen das Bewegungsantwort. Und diese hat natürlich Einfluss auf den gesamten Muskeltonus. Das unterscheidet uns grundlegend von der Babymassage.

Resilienz ist in den letzten Jahren zu einem wichtigen Begriff geworden. Übersetzbar vielleicht mit Widerständigkeit, die Fähigkeit, sich anzupassen, die Dinge gut wegzustecken, körperlich und mental, psychisch. Inwiefern hilft Shiatsu, diese Resilienz schon im Kindheitsalter zu stärken? Schon im ersten Lebensjahr?

Im ersten Lebensjahr sind die Meridiane erst angelegt, aber noch nicht entfaltet. So arbeiten die zwölf Meridiane, die später die Hauptmeridiane sind, zunächst in drei Gruppen mit je vier der späteren Hauptmeridiane zusammen.

Teamwork!

Ja, und jede dieser Gruppen hat eine Hauptentwicklungsaufgabe. Diese sind: Mitte finden, Aufrichtung und Rotation, was auch Flexibilität beinhaltet. Diese Entwicklungsschritte zeigen sich in der Bewegungsentwicklung und auf der korrespondierenden emotionalen Ebene. Hier gilt der von der Harvard Universität geprägte Satz „Bewegung ist das Fenster ins Gehirn“.

Bewegung ist das Fenster ins Gehirn, schöner Satz. Kannst du das näher beschreiben?

Gern. Die „Mitte finden“ ist ein wichtiger Schritt in der motorischen Entwicklung und findet so um den dritten Monat statt. Gleichzeitig mit diesem Schritt schafft sich auch die Grundlage dafür, ob wir es später im Leben schaffen, nach Herausforderungen wieder in unsere Mitte zurückzukehren. Wie oft hören wir den Satz „Ich stehe neben mir“. Oder, um ein anderes Beispiel zu nennen, wir sehen Schulkinder, deren Emotionen Achterbahn fahren. Oft wird ihnen deshalb Verhaltensauffälligkeit nachgesagt.

Ah, genau.

Aus unserer Sicht aber ist das Ausdruck einer Entwicklungsverzögerung. Denn hat ein Kind den Schritt „Mitte finden“ nicht gemeistert, dann fehlt es ihm oft später schwer, sich situationsgemäss zu verhalten. Es fehlen ihm einfach die nötigen Kompetenzen dazu.

Stress und Reizüberflutung begleiten das Aufwachsen wohl schon seit Menschengedenken – und seit unserem Bildschirmzeitalter in noch weit höherem Mass, als es vielleicht gut ist für die Entwicklung. Ist dieser Befund übertrieben? Den Buchdruck haben wir ja eigentlich ganz gut weggesteckt?

Eine gewisse Form von Stress und Herausforderung gehört zum Wachstum und Entwicklung dazu. Aber wenn es in Reizüberflutung ausartet, ist es für unser System nicht mehr gesund. Nach dem so wichtigen ersten Lebensjahr geht die Meridianentwicklung in die nächste Stufe über und hier gehören Bewegung und ungefilterter emotionaler Ausdruck dazu. Das geschieht im Kindergartenalter. Hier muss das Kind klettern dürfen, vom Mäuerchen springen, das heisst, seine körperlichen Fähigkeiten erproben und weiterentwickeln. Aber es gilt auch sich mit anderen Kindern auseinanderzusetzen – dazu gehört es, sich zu streiten und zu vertragen und Rollen in Spielen auszuhandeln.

Und genau das, meinst du, verhindert unser Bildschirmzeitalter?

Zu viel Bildschirmzeit, ein überfüllter Tagesplan, der für spontane Verabredungen wenig Spielraum zulässt, all das führt dazu, dass die anstehenden Entwicklungsschritte nicht mehr ausreifen können. Die Fachwelt ist sich heutzutage einig, wie weit Kinder im Vergleich zu früher in der Entwicklung zurück sind. In Deutschland sicherlich noch mehr als in ländlichen Gebieten in der Schweiz. Daher nutzen wir die BabyShiatsu-Techniken auch für ältere Kinder, um Entwicklungsschritte nachzuholen. Angebote, die wir noch vor 15 Jahren für Schulanfänger gemacht haben, wären heute viel zu hoch gegriffen – sie sind schlichtweg überfordert. Daher ist die Bezeichnung BabyShiatsu mittlerweile viel zu kurz gegriffen.

Was ist das Allerwichtigste, das ich als Shiatsu-TherapeutIn in deinem BabyShiatsu-Kurs lerne?

Unser Menschenbild. Kinder bringen alle Fähigkeiten für ihre Lebensreise mit, haben aber leider nicht immer die Chance, sie zu entwickeln. Kenntnisse der Meridianentwicklung eröffnen einen neuen Blickwinkel auf kindliches Verhalten und Behandlung.

Und die Eltern? Die benötigten eigentlich ja auch etwas Aufklärung?

Ja, den Blick auf die Eltern zu haben, gehört auch dazu. Denn wenn sie in ihrer Babyzeit und ihrer Kindheit bestimmte meridianassoziierte Entwicklungsthemen nicht entfalten durften, können sie diesen Raum auch nicht ihrem Kind bieten. Daher stehen bei uns immer Eltern und Baby bzw. Kind gleichermassen im Blickwinkel. Unser Angebot geht immer an beide.

Tipps für Eltern: Was ist das Wichtigste, das ich als Elternteil tun bzw. lassen soll?

Eine Prise Zen-Geist. Wie heisst es: Gras, an dem man zieht, wächst auch nicht schneller. Das Immer-Schneller, Immer-Früher, um gewisse Entwicklungsstufen zu meistern, nimmt Babys und Kindern jeglichen Raum zur Selbstwirksamkeit. Wie stolz sind sie, wenn sie etwas aus eigener Kraft gemeistert haben – und das auf ihre individuelle Art und Weise. Aber auch Eltern müssen und können nicht perfekt sein. Wir brauchen die Vielfalt, die ganz persönliche Ausdrucksform jedes Einzelnen, ganz besonders, wenn wir an die Herausforderungen denken, vor denen wir in der Welt stehen. Und das versuchen wir in unseren Baby-Elternkursen spielerisch zu vermitteln.

Portraitfoto von Karin Kalbantner-Wernicke. Foto: zVg

Karin Kalbantner-Wernicke

Aceki Institutsleitung und Kinderphysiotherapeutin in Deutschland, unterrichtet BabyShiatsu weltweit; sie lehrt und lernt auch gern in Japan.
www.aceki.de 

BabyShiatsu und Kinderakupunktur Shōnishin

Weiterbildungen mit Karin Kalbantner-Wernicke und Thomas Wernicke

Mit Karin Kalbantner-Wernicke und Thomas Wernicke

BabyShiatsu

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