«Genial, was Ballaststoffe alles können»
Ebikon, 16. Februar 2023 — Sie halten pathogene Bakterienstämme in Schach, helfen beim Abnehmen und können sogar Vitamine wie B12 bilden: Nahrungsfasern, auch Ballaststoffe genannt. Was sie alles draufhaben, sagt Isabelle Zender, Co-Ressortleiterin TEN.
Dozentin und Ressortleiterin Isabelle Zender weiss, wie wichtig Ballaststoffe die Gesundheit sind. Nüsse, auch Kerne und Samen, sind ihre Wahl für Zwischendurch: Sie enthalten einiges an Ballaststoffen, dazu sogar noch gute Fette. Foto: Heilpraktikerschule Luzern
Aus deiner Praxis-Erfahrung: Sind Ballaststoffe überhaupt ein Thema? Inwiefern?
Oh ja, allerdings.
Oh, da haben wir also einen Punkt getroffen.
Ja, tatsächlich. Denn Ballaststoffe sind wichtig, doch weiss das fast niemand. Sie sind sogar essentiell für eine gute Darmgesundheit. Und die wiederum ist wichtig für ein gesundes Immunsystem, gute Nerven im Alltag und vieles mehr.
Da denkt man, ein gesundes Immunsystem und so, das alles hinge vor allem an Mineralstoffen und Vitaminen.
Schon auch. Aber Ballaststoffe spielen eine wichtigere Rolle, als man denkt. Ausserdem werden sie von den PatientInnen oft zu wenig eingenommen, eben weil da ein Unwissen herrscht. Auch wo denn Ballaststoffe zu finden sind und wie viele Ballaststoffe wir täglich benötigen. Die Bedeutung der Ballaststoffe für unsere Gesundheit wird unterschätzt.
Also – angenommen, ich würde keine Ballaststoffe mehr essen, was würde passieren?
Dann würdest du verhungern. Denn Ballaststoffe sind so gut wie in jedem unverarbeiteten, naturbelassenen Nahrungsmittel vorhanden. Du würdest also gar nichts essen. Und nur dann, wenn du dich ausschliesslich von tierischen Produkten, von Öl und von industriell hergestelltem Zucker ernähren würdest, würdest du praktisch auf Ballaststoffe verzichten.
Das hört sich nicht sehr gesund an.
Ja, eine solche Ernährung ist alles andere als gesund, sicher auf lange Sicht nicht. Deine Darmtätigkeit wäre nicht mehr sehr aktiv. Die Ausscheidung von Giftstoffen – Endotoxinen – wäre eingeschränkt. Auch könnten deine Darmbakterien keine B-Vitamine und kein Vitamin K2 mehr herstellen, auch keine kurzkettigen Fettsäuren. Und gewisse Darmbakterienstämme würden nicht mehr «gefüttert» werden. Somit würde ein Ungleichgewicht in deinem Mikrobiom eintreten. Eine Überwucherung von pathogenen Keimen entsteht, und das führt mit grosser Wahrscheinlichkeit zu Krankheiten und Mangelernährung.
Ui, okay. Welches Nahrungsmittel ist das mit den besten Ballaststoffen? Das mit den meisten?
Das ist eine gar nicht so einfache Frage. Am besten, würde ich sagen, ist nicht ein einziger Ballaststoff. Am besten ist Vielfalt. Bringe also verschiedene Ballaststoffe auf den Teller. In Obst, Früchten, Getreide und Gemüsen finden sich – neben vielem anderen Gesunden – eben auch Ballaststoffe, Inulin zum Beispiel und Pektin. Sie tun so einiges, und vor allem füttern sie auch unsere Darmbakterien.
Kannst du Inulin noch etwas ausführen?
Klar, bei Inulin handelt es sich um ein Präbiotikum. Heisst so viel wie: Inulin ernährt die nützlichen Darmbakterien und sorgt so für eine gute Darmflora. Werden diese nützlichen Darmbakterien nicht ausreichend versorgt, führt dies dazu, dass sie immer schwächer werden. Dies ist eine gute Voraussetzung für die schädlichen Bakterien. Diese können sich vermehrt ausbreiten und so die Darmschleimhaut reizen. Was unter anderem verheerende Folgen für das Immunsystem mit sich bringen kann. Daher ist es umso wichtiger, in der heutigen Ernährung vermehrt Nahrungsmittel mit präbiotischen Eigenschaften einzunehmen. Beispiele dafür sind Artischocken, Chicorée, Lauch, Knoblauch, Roggen oder auch Bananen.
Und Pektin?
Pektin ist ein wasserlöslicher Ballaststoff, der in erster Linie aus Äpfeln oder Zitronenschalen gewonnen wird. Durch seine präbiotischen Eigenschaften bringt Pektin unzählige Vorteile mit sich. Hier einige Beispiele: Pektin erhält und fördert die Darmflora, senkt Cholesterinwerte, hilft beim Abnehmen, hat krebshemmende Eigenschaften und wirkt sich positiv auf den Blutdruck aus. Pektin finden wir in Früchten wie Heidelbeeren, Birnen oder Kakis – nebst Äpfeln und Zitrusfrüchten, wie schon genannt.
Wo Wasserlösliches, da gibt es auch Wasserunlösliches?
Ja, Getreide wie zum Beispiel Hafer und Gerste enthalten auch wasserunlösliche Ballaststoffe wie Cellulose und Lignin. Sie quellen auf und machen gut satt und sind eigentlich die darmeigene Müllabfuhr.
Halt kurz, was ist Cellulose, was Lignin?
Cellulose ist ein Bestandteil pflanzlicher Zellen, es ist das, was Pflanzen, Sträuchern und Bäumen Stabilität gibt. Und es ist, zumindest für uns Menschen, nicht verdaulich. Aber es quellt eben, und das ist nützlich. Lignine sind Teile von Holzzellwänden bzw. von mehrjährigen Pflanzen. Diese wasserunlöslichen Ballaststoffe sind auch dafür zuständig, dass der Nahrungsbrei schnell den Darm passiert, die Darmbewegung aktiviert und so Verstopfung vorbeugt. Voraussetzung ist, genügend zu trinken. Flohsamenschalen und Leinsamen gehören in die Top Ten der Ballaststoffquellen. Am meisten Ballaststoffe hat die Weizenkleie – 45,1 g pro 100 g.
Nehme ich mit Ballaststoffen ab? Die füllen ja. Und einige davon quellen ja so richtig auf – da sollte ich mich schnell satt fühlen? Also lieber Ballaststoffe essen statt Kalorien?
Genau, der Vorteil der wasserunlöslichen Ballaststoffe, also der Getreide und Getreideprodukte ist, dass sie – mit genügend Flüssigkeit – aufquellen. Sie machen rasch satt. Somit werden kleinere Portionen gegessen. Dies wiederum führt dazu, dass man abnimmt. Diese Ballaststoffe fördern übrigens auch die Vermehrung derjenigen Darmbakterien, die sich lieber von Obst, Gemüse und Getreide ernähren. Diese Darmbakterien können eine Gewichtsabnahme leichter machen, denn sie verdrängen ein Überangebot an Darmbakterien, die sich vor allem durch Zucker und Fett ernähren. Somit haben wir weniger das Verlangen nach Zucker und Fett.
Das hört sich aber so an, als ob ich nur dächte, ich hätte Hunger, aber in Wirklichkeit sind es die Bakterien in meinem Darm, die Hunger haben – und so bestimmen diese Bakterien, was ich essen will? Wer bin dann ich ...? Bin ich meine Bakterien?
Tja, gute Frage. Das Mikrobiom hat einen grossen Einfluss. Nicht nur auf den Körper, auch auf die psychische Verfassung. Aber dass wir nur das sind, was unsere Bakterien sind, das glaube ich also wirklich nicht. Zumindest kannst du dein Mikrobiom über die Ernährung beeinflussen. Wenn du mehr dazu wissen willst, komm doch ins Modul Darmcheck.
Haben Ballaststoffe auch Kalorien?
Die bringen natürlich auch Kalorien mit sich, ja, aber der Vorteil an ballaststoffreichem Essen ist, dass die Kohlenhydrate, also der Zucker, weniger schnell und dadurch kontinuierlich ins Blut abgegeben werden. Somit bleibt der Blutzuckerspiegel stabil. Und das beugt Heisshungerattacken auf Süsses vor. Also ja, ballaststoffreiche Nahrungsmittel sind geeignet für ein gesundes Körpergewicht.
Ballaststoffe «regulieren» den Darm. Was genau heisst das? Sie verhindern Verstopfung und Durchfall? Sind gut für das Mikrobiom?
Fassen wir zusammen, was die Ballaststoffe Geniales leisten. Sie regulieren den Darm, weil sie die Darmpassage beschleunigen, in Kombination mit genügend Flüssigkeit. So beugen sie einer Verstopfung vor. Wird zu wenig Flüssigkeit in Kombination mit Ballaststoffen eingenommen, stopfen diese. Somit hilft es gegen Durchfall. Ballaststoffe agieren im Darm wie eine Art Schwamm. Sie laden Endotoxine auf, also Abfallstoffe von der Abspaltung der Bakterien oder tote Bakterien, auch andere Toxine wie Pestizide usw. Diese werden in der Darmpassage von den Ballaststoffen aufgeladen und schlussendlich durch den Kot ausgeschieden. Das ist sozusagen die Müllabfuhr für den Darm.
Und das Mikrobiom?
Diese Müllabfuhr-Funktion hilft natürlich auch dem Mikrobiom, denn so kommt es zu keiner Überbesiedlung von pathogenen Bakterienstämmen. Durch unsere westliche, industrielle Ernährung haben wir oft ein Ungleichgewicht im Mikrobiom. Da kommt es zu sehr vielen Darmbakterien, die sich von tierischen Produkten, Zucker und Fett ernähren.
Und Ballaststoffe bringen da wieder ein Gleichgewicht rein?
Ja, genau. Sie fördern die anderen Darmbakterien. Deshalb ist es wichtig, Ballaststoffe zu essen. Ballaststoffe sind gesundes „Futter“ für eine Vielzahl von Darmbakterien. Das hilft gegen Überwucherungen von pathogenen Keimen. Und – zusätzlich noch besonders hilfreich – indem die Darmbakterien die Ballaststoffe verarbeiten, werden kurzkettige Fettsäuren gebildet – überlebenswichtige. Auch Vitamin B1, B2, B6 und B7 wie auch B12 können gebildet werden. Ebenfalls das Vitamin K2. Genial, was Ballaststoffe alles können!
Kann ich zu viele Ballaststoffe nehmen?
Ja, durchaus. Wenn zu viele Ballaststoffe mit zu wenig Flüssigkeit eingenommen werden, kann es zu Verstopfung führen, im schlimmsten Fall zu einem Darmverschluss. Die Empfehlung der Schweizerischen Gesellschaft für Ernährung SGE ist, täglich 30 Gramm Ballaststoffe einzunehmen. Das sind etwa drei Scheiben Vollkornbrot, eine Portion zuckerfreies Müesli, drei Kartoffeln, zwei Karotten, zwei Kohlrabi, ein Fenchel und ein Apfel. Das alles ergibt etwa 30 Gramm Nahrungsfasern. Es ist schon eine ganze Menge, die wir täglich zu uns nehmen sollten.
Statt mühsam mit Nahrungsmitteln – könnte ich auch einfach eine angemessene Anzahl Löffel einer bestimmten Ballaststoffart zu mir nehmen? Worauf müsste ich da achten?
Du könntest Inulin-Pulver einnehmen, drei Esslöffel, dies entspricht 30 Gramm unlöslicher Ballaststoffe. Aber die Natur ist so schlau, dass sie verschiedene Ballaststoffe in verschiedenen Nahrungsmitteln eingefügt hat. Somit wäre eine einseitige Einnahme von Ballaststoffen wie Inulin, auf lange Sicht nicht indiziert. Für kurzfristige, therapeutische Zwecke kann dies sinnvoll sein. Hinzukommt, dass nicht alle Leute Inulin gleich gut vertragen. Inulin kann in zu hohen Mengen Gasbildung und Verstopfung fördern. Auch Durchfall, wenn eine Unverträglichkeit besteht. Die ist übrigens nicht selten. Personen, die Magen-Darm-Infekte oder andere Erkrankungen des Verdauungstraktes oder bestimmte Operationen hinter sich haben, sollten vor der Einnahme von ballaststoffreichen Nahrungsergänzungsmitteln mit ihrer ErnährungsberaterIn oder NaturheilpraktikerIn sprechen.
Was schlägst du mir vor?
Am besten nimmst du zum Frühstück je 50 g Hafer, das sind etwa 5 g Ballaststoffe, einen Esslöffel Weizenkleie, das sind etwa 4 g Ballaststoffe, eine halbe Banane, also etwa 2 g Ballaststoffe, eine Handvoll Beeren, etwa 1 g Ballaststoffe. Und Mandelmilch: ein Esslöffel Mandelmus, das sind etwa 2 g Ballaststoffe, mixt du mit 250 ml Wasser im Mixer. Mit all dem hast du schon ein gutes Haferporridge mit über 14 g Ballaststoffen eingenommen, und das zum Frühstück. Falls du das glutenfrei willst, ersetzt du die Haferflocken durch Buchweizenflocken und die Weizenkleie durch gemahlene Flohsamenschalen oder gemahlene Leinsamen. Und durch den Tag als Zwischenmahlzeit eine Handvoll Nüsse, das gibt – neben guten Fetten – zusätzliche Ballaststoffe.
Das hört sich fein an.
Ja, und lieber Natur pur statt einseitiger Pülverchen. Die Natur ist schlau.
Danke für das Gespräch, Isabelle.
Gern, Martin.
Isabelle Zender-Kistler ist Ressortleiterin Massage-Praktiken und Co-Ressortleiterin TEN an der Heilpraktikerschule Luzern. Ausgebildet hat sie sich zur Medizinischen Masseurin mit eidg. FA, zur Naturheilpraktikerin mit eidg. Diplom in TEN, und zur Ausbilderin mit SVEB I-Zertifikat. Mit Mann und Hund erobert sie die Natur, ihre Praxis führt sie in Thalwil: www.therapiekonzept-natur.ch