«In der Craniosacral-Therapie finde ich diese Aspekte vereint»
Ebikon, 17. Januar 2023 — Pater Benedict Arpagaus sieht Geist, Seele und Körper in der Komplementärtherapie verbunden. Der Benediktinermönch arbeitet im Kloster Einsiedeln als Craniosacral-Therapeut. Was ihn so an dieser Therapie fasziniert und mehr, hier im Interview.
Pater Benedict Arpagaus ist breit ausgebildet, in Krankenpflege, Philosophie und Theologie, Fussreflexzonen- und Craniosacral-Therapie. Seine KlientInnen behandelt er in seiner Körpertherapie-Praxis «Herzensweite» im Kloster Einsiedeln. Foto: Jean-Marc Ayer
Pater Benedict, du bist Theologe und jetzt auch Craniosacral-Therapeut – wie geht das? Wie ist es dazu gekommen?
Als junger Mann entschied ich mich für die Ausbildung zum Pflegefachmann in Ilanz GR. Und vor meinem Klostereintritt in Einsiedeln arbeitete ich fünf Jahre als diplomierter Pflegefachmann im Kantonsspital Nidwalden. Gleichzeitig interessierten mich neben Gesundheitspflege und Naturheilkunde auch immer schon Religion und Spiritualität. Das Thema „Gottsuche“ war immer präsent. Die Frage nach dem Sinn des Lebens, eine Sehnsucht nach „mehr“. Denn ich hatte eigentlich alles, was man sich wünschen kann.
Und dann hast du dir ein Kloster mal genauer angeschaut?
Eines Tages begegnete ich einem Mönch und besuchte daraufhin dessen Kloster. Von da an war ich endgültig ergriffen von dieser Lebensweise.
Vermisst du den Pflegeberuf?
Die Arbeit im Spital war für mich lehrreich und ich fühlte mich im Team sehr wohl. Aber es wurde mir zu einseitig. Es ging fast nur noch um das Körperliche und um Administratives. Immer mehr fühlte ich mich getrieben von Arbeitsabläufen. Das Geistige und Seelische kam unter die Räder. Und oft erlebte ich es für mich so, dass ich für die konkreten PatientInnen nicht wirklich Zeit hatte. So kündigte ich meine schöne Wohnung mit Garten in Buochs NW und meine Arbeitsstelle, packte meine sieben Sachen, verschenkte allerlei Hausrat und zog in das Benediktinerkloster St. Othmarsberg in Uznach SG.
Und wie kamst du dann ins Benediktinerkloster Einsiedeln?
Dahin wurde ich später zum Philosophie- und Theologiestudium gesandt, und da blieb ich dann definitiv hängen. Nach drei Jahren als Schulseelsorger und Religionslehrer am Gymnasium Einsiedeln, das ist ja die Stiftsschule des Klosters, war ich dankbar, in die Pfarreiarbeit wechseln zu dürfen. Ich habe mich nie als Lehrer gesehen, jedoch schätzte ich die Begegnung und Zusammenarbeit mit anderen Menschen. Acht Jahre wirkte ich in der Pfarrei Einsiedeln als Priester, der vor Ort die Seelsorge pflegte. Gottesdienste, Taufen, Trauungen, Besuche, Anlässe, Trauerfeiern, Projekte, viele Begegnungen und bereichernde Erfahrungen prägten nun meinen Alltag.
Das hört sich aber auch so an, als ob da eine gewisse Hektik drin wäre? Ähnlich wie in der Pflege?
Hektik nicht, aber es ist doch viel, und vor allem meldete sich von Neuem eine Unzufriedenheit. Wieder fühlte ich mich als Getriebener und erinnerte mich daran, dass ich in erster Linie Mönch bin. Deshalb hatte ich ja das klösterliche Leben gewählt. Stand im Spital das Körperliche im Vordergrund, so konzentrierte sich meine Arbeit in der Pfarrei zu sehr auf das Geistige. So blitzte der Gedanke auf, Heilpraktiker zu werden und Menschen auf geistiger, seelischer und körperlicher Ebene zu begleiten. In der Craniosacral-Therapie habe ich diese Aspekte vereint gefunden. Diese Arbeit erfüllt mich mit Freude und ich fühle mich dankbar „angekommen“, in mir und bei mir. Ich darf nun das tun, was ich bin; so würde ich es ausdrücken.
Inwiefern hat Craniosacral-Therapie bzw. Komplementärtherapie etwas Spirituelles? Etwas Seelsorgerisches?
Für mich verbinden die komplementärtherapeutischen Methoden alle Ebenen des Menschen, Geist, Seele und Leib. Für mich kommt eine spirituelle Dimension natürlicherweise hinzu. Ich erkenne mich in der therapeutischen Arbeit als Instrument innerhalb eines Orchesters.
Das musst du bitte erklären.
Verschiedene Instrumente, also verschiedene TherapeutInnen spielen in diesem Orchester zusammen mit dem Ziel, eine Melodie – sei es Heilung, Lebendigkeit, Kreativität… – erklingen zu lassen, die belebt, beflügelt und heilsam verwandelnd bewegt. Hierzu brauchen die Instrumente ihre je eigenen Noten, ihre je eigenen Methoden. Es gibt unterschiedliche Einsätze der Instrumente und jedes trägt in seiner Weise und zu seiner Zeit zum Gelingen des Konzertes bei. Schliesslich braucht es den Dirigenten bzw. die Dirigentin – Gott, die Engel, die geistigen Kräfte.
Ein Zusammenspiel auf verschiedensten Ebenen.
Ja, und da sehe ich mich als eines dieser Instrumente, wissend, dass es viele andere Instrumente gibt und auch braucht. Und ich glaube an Gott, die himmlische Dimension, aus der wir kommen, von welcher wir durchwoben sind und zu der wir zurückkehren werden. Nochmals: Es ist ein Zusammenspiel. Bevor ich mit der KlientIn in Berührung gehe, beginne ich in Stille, mit einem Gebet, und mit einem Gebet schliesse ich auch ab, Dank sagend. Es gibt mehr als die sichtbare Welt. Davon überzeugt bin ich seit Kinderzeiten und heute mehr denn je. Meine wichtigste Bezugsperson ist Jesus Christus. Nach dem Vorbild Jesu bemühe ich mich, meinen KlientInnen zu begegnen und sie zu begleiten. Das darf täglich neu geübt werden.
Hätte es auch eine andere Methode sein können? Shiatsu, Kinesiologie, Ayurveda? Oder war Craniosacral-Therapie klar für dich?
Ursprünglich wollte ich Heilpraktiker werden. Ich hätte mich wohl für Traditionelle Europäische Naturheilkunde TEN entschieden, obwohl mich die Traditionelle Chinesische Medizin TCM auch sehr interessiert. Angesichts der komplexen und zeitlich unberechenbaren Pfarreiarbeit hätte ich mir das nicht zugetraut. Meine Entscheidung fiel zunächst auf die Ausbildung in Fussreflexzonenmassage, doch bald darauf begann ich zusätzlich mit der Ausbildung in Craniosacral-Therapie. Und das waren genau die richtigen Entscheidungen. Es fühlt sich wunderbar stimmig an.
Du hast deine Praxis direkt im Kloster Einsiedeln. Wie ist das für deine KlientInnen? Hast du schon viele KlientInnen?
Seit zweieinhalb Jahren arbeite ich nicht mehr in der Pfarrei. Im Kloster bin ich für die Gäste verantwortlich, wenn nötig arbeite ich in der Krankenpflege, helfe also meinen Mitbrüdern, wenn sie krank sind. Sonst bin ich frei für meine therapeutische Tätigkeit. Die Klientel zeigt ein vielfältiges Bild auf. Viele haben von mir gehört, andere sind über meine Homepage auf mich aufmerksam geworden und unlängst wurde mir ein Klient von einer Ärztin überwiesen.
Sind die KlientInnen religiös?
Einige von ihnen ja. Die meisten sind aber einfach spirituell offen und suchend. Auf alle Fälle wünschen sie sich eine ganzheitliche Therapieform und manche finden eine Klosterpraxis wohl interessant. Darunter finden sich natürlich auch Personen, die mit der Kirche oder mit einer religiösen Institution nicht viel am Hut haben. Bei mir sind alle willkommen. Letztlich bin ich überzeugt, die Menschen finden zu der Therapiemethode und zu der TherapeutIn, die für sie bestimmt und richtig sind. Ich habe einen hellen Therapieraum mit altem Holzboden und sehe auf den Klosterplatz. Darin fühle ich mich sehr wohl, ebenso meine KlientInnen, die mir diesbezüglich schöne Rückmeldungen geben.
Hat der Abt deinen Ausbildungs-Wunsch sofort gut gefunden oder hat es Überzeugungsarbeit gebraucht? Und wie findet es die Gemeinschaft? Kommt da auch jemand in Behandlung?
Als ich meinem Abt mein Anliegen eröffnete, war er damit sogleich einverstanden und fand das eine gute Idee. Ich solle schauen, was für mich in Frage käme und wo ich eine Ausbildung machen könnte. Es müsse einfach mit meinem Klosterleben und meinen Aufgaben im Kloster kompatibel sein. Und ja, es gibt auch Mitbrüder, die mich aufsuchen. Die meisten KlientInnen kommen von auswärts. Langsam werden es mehr.
Ist Heilkunde nicht auch eine klösterliche Tradition? Zum Beispiel Heilpflanzen. Viele davon kamen ja von Klostergarten zu Klostergarten von Süden hoch in den Norden?
Ja, die Heilkunst hat in so manchen Klöstern eine lange Tradition. Jedes Kloster hat seine eigene Geschichte und Tradition, unseres hat bald 1200 Jahre. Ich bin nun 20 Jahre im Kloster Einsiedeln und in dieser Zeit hat sich manches verändert. Vieles kommt in Bewegung. Die Gemeinschaft wird kleiner und deshalb wohl auch flexibler und wacher. Das hat auch mit der aktuellen Zeitqualität zu tun, die viele Menschen derzeit erfahren. Und schön ist: Die Menschen werden mutiger, also mutiger in Anführungszeichen oder mit Smiley dran: Sie trauen sich zur Therapie zu mir ins Kloster, auch wenn das für einige eine fremde Welt ist.
Eine Frage aus Kloster-Neugier: Haben auch andere Mönche einen Zweitberuf, sozusagen?
Fast alle Mönche haben einen Zweitberuf oder gar einen Drittberuf. Es kann nur jemand eintreten, der eine abgeschlossene Berufslehre und wenn möglich Berufserfahrung hat oder die Matura. Später wird jeder Mönch eine weitere Ausbildung oder wenigstens Weiterbildung unter die Füsse nehmen, Richtung Studium, Handwerk oder Kurs. Mönche werden nicht pensioniert, sie arbeiten so lange wie möglich in ihrem Arbeitsfeld. Hinzu kommen weitere Dienste innerhalb der Gemeinschaft, die jeder Mönch auszuführen hat. Unser Abt fördert die einzelnen Mönche so gut es geht in ihren Talenten. So ist ein Mitbruder von mir Künstler mit einem eigenen Atelier und bietet Kalligraphiekurse an. Ein anderer Mitbruder lässt sich in Richtung Zen-Meditation ausbilden, was nicht zwangsläufig mit dem Buddhismus zu tun hat, sondern lediglich eine besondere Meditationsform darstellt. Und es gibt weitere Beispiele.
Hast du einen Tipp für Personen, die auch Craniosacral-Therapie lernen möchten?
Am besten eine Craniosacral-Behandlung erfahren. Und während der Ausbildung und darüber hinaus regelmässig sich selbst eine Craniosacral-Behandlung gönnen, wie ich es pflege. Das tut nicht nur einfach gut, sondern es sensibilisiert und inspiriert mich immer wieder neu für mein eigenes therapeutisches Wirken.
Danke, Pater Benedict, für das Gespräch.
Gern, Martin.
Die Körpertherapie-Praxis «Herzensweite» von Pater Benedict Arpagaus ist im Kloster Einsiedeln:
www.kloster-einsiedeln.ch/koerpertherapie