QiGong und die Phasen der Veränderung
Ebikon, 2. Dezember 2020 – Wir Menschen verändern uns: z.B. Kindheit, Alter. Die TCM reflektiert das in ihrer Theorie – und hat dazu eine Praxis: QiGong. Dozent Fabian Winiger im Email-Interview.
Fabian Winiger, Anthropologe und QiGong-Dozent: QiGong ist die Kunst der Lebenskultivierung. Foto: zVg
QiGong in besonderen Lebensphasen – was sind diese Phasen?
Ein uraltes Prinzip in der chinesischen Tradition der Lebenskultivierung, das bereits im «Klassiker des gelben Kaisers» beschrieben wurde, ist die Unterteilung des Lebens in 7 Phasen für Frauen und 8 Phasen für Männer (nü qi nan ba 女七男八, wörtlich «Frauen sieben, Männer acht»). Diese Phasen beschreiben die körperlichen Veränderungen, die alle 7 bzw. 8 Jahre am menschlichen Körper zu beobachten sind.
Dass Frauen und Männer leicht verschiedene Lebensphasen haben, hat nichts mit einer Wertung der Geschlechter zu tun, sondern bezieht sich auf die Beobachtung, dass Mädchen sich häufig ein wenig früher verändern als Jungen. Das beginnt bereits in der Pubertät, die im alten China bei Mädchen mit 14 Jahren (2x7) und Jungen mit 16 Jahren (2x8) begann.
Viele Umweltfaktoren (Gesellschaft, Nahrung, Medizin usw.) spielen eine Rolle hinsichtlich Zeitpunkt und Ausprägung der Lebensphasen, und diese Umwelt hat sich stark verändert seit der Zeit des Klassikers des Gelben Kaisers.
Die angegebenen Zeitpunkte sind eher als Denkanstösse denn als verbindliche und unumgängliche Geschehnisse zu verstehen. Besonders die korrekte und regelmässige Übung eines effektiven und sicheren Qigong-Systems kann eine sehr positive Auswirkung auf die Gesundheit und den Alterungsprozess haben.
Warum sind diese Phasen aus Sicht der TCM so besonders?
Das traditionelle chinesische Weltbild ist stark von Zyklen geprägt. Das gibt es die fünf Jahreszeiten, den 60-Jahre Zyklus der zwölf Erdenzweige (dizhi 地支,) und der zehn Himmelsstämme (tiangan 天干), gemäss dem wir uns gerade im Jahr der Metall-Ratte befinden; es gibt den dynastischen Zyklus, gemäss dem Herrscher Macht erlangen und verlieren, und so weiter. Genauso ist es mit den Menschen: In der TCM bewegt sich das Qi im Körper gemäss den fünf Wandlungsphasen, die jeweils verschiedenen Organen zugewiesen sind. Das gesamte Leben des Menschen entwickelt sich gleichsam in Zyklen, die sich in sieben bzw. acht Abschnitte unterteilen lassen. Auch wenn die TCM heute sehr medizinisch verstanden wird, darf man nicht vergessen, dass die Abgrenzung zwischen dem, was wir heute ‘Medizin’ und ‘Religion’ nennen, nicht immer so gemacht wurde. Der Buddhismus, zum Beispiel, hatte einen enormen Einfluss auf die chinesische Weisheitskultur und somit auch auf die Kunst, ein langes und gesundes Leben zu führen. Das Ende eines menschlichen Lebens ist somit lediglich ein Übergang in den nächsten Zyklus.
Wie geht QiGong auf diese Phasen ein?
Das Besondere am QiGong ist, dass diese Kunst der Lebenskultivierung im Vergleich mit der TCM im 20. Jahrhundert weniger stark von der Naturwissenschaft geprägt wurde und noch viele sehr traditionelle Aspekte darin erhalten sind. Im QiGong ist Qi eine unmittelbar erfahrbare Energie, die sich im Laufe der Lebensphasen ändert. Diese Änderungen sind spürbar, wenn man – am besten durch tägliches Üben – ein ‘Sensorium’ für das Qi entwickelt. In diesem Kurs lernen wir nicht nur, wie im traditionellen China diese Lebensphasen verstanden wurden, sondern auch praktische Übungen, mit denen man, unabhängig von der aktuellen Lebensphase, mehr Gesundheit, Glücklichkeit, Wohlbefinden, Wachstum finden und andere damit unterstützen kann.
Wegen der Pandemie werden wohl einige TeilnehmerInnen per Livestream dabei sein, damit sie sich auf der Anreise nicht unnötig exponieren. Ein Nachteil?
Klar, es ist nicht ideal. Aber da niemand weiss, wie lange diese Pandemie anhalten wird, müssen wir uns dieser Situation anpassen. Krisen, so lautet eine alte chinesische Weisheit, sind auch Neuanfänge. Das Schriftzeichen dafür (危机) wurde sogar dieser Einsicht nachempfunden. Es besteht aus zwei Wörtern: «Gefahr» und «Möglichkeit». Die Nachteile des Livestreaming sind aus meiner Sicht auch eine Möglichkeit, Neues zu entdecken. Beispielsweise, dass Qi-Felder, mit denen viele Arten des QiGong arbeiten, nicht-lokale Phänomene sind. Das heisst, auch von Zuhause aus kann man zumindest auf Ebene des Qi problemlos am Unterricht teilnehmen.
Apropos Pandemie – wie könnte da QiGong helfen?
QiGong eignet sich natürlich hervorragend für den Lockdown, da es eine "do-it-yourself"-Methode ist. Sie lässt sich sehr gut allein üben und tritt Corona auf verschiedenen Ebenen entgegen: durch Abwehrkraft, Stressminderung und Gemeinschaftsgefühl. Die Pandemie gibt vielen Leuten auch zeitliche Ressourcen, die sie sonst nicht haben. Wenn diese in regelmässiges Üben einer sicheren und effektiven QiGong-Methode investiert werden, darf man spürbare Fortschritte oder sogar Quantensprünge in Gesundheit und Wohlbefinden erwarten. So kann diese Krise tatsächlich auf persönlicher Ebene einen grundlegenden Neuanfang bedeuten.
Fabian Winiger
Dr. phil. in Anthropologie: Ph.D. Med. Anthropologie (Hong Kong), M.Sc. Med. Anthropologie (Oxford), Postdoc Universität Zürich (Spiritual Care und Global Health), zert. Ausbilder REN XUE, Yuan Qigong und Yuan Ming Medizin, Gründungsmitglied Verein REN XUE Schweiz; wohnt in Stäfa.