«Wie und warum wirken alternative Heilmethoden?»
Ebikon, 15. November 2019 – Lässt sich Alternativmedizinisches wie Qi und Prana erklären? Die Biologin Felicitas Marbach-Lang und der Anthropologe Fabian Winiger unterrichten das Modul «Quantenphilosophie und Therapie». Beide hier im Interview.
Lebt sie noch oder ist sie tot? Die Antwort auf diese Frage – lebendig und gleichzeitig tot – scheint paradox. Gedankenexperimente wie Schrödingers Katze führen zu Theorien, die helfen, die Wirkungen von Alternativmedizin und Komplementärtherapie zu erklären. Fabian Winiger und Felicitas Marbach-Lang machen diese Theorien im Kurs verständlich und sogar fühlbar.
Felicitas und Fabian – Quanten also. Wer von euch ist die Welle, wer das Teilchen?
Felicitas: Vielleicht braucht es hier etwas Erklärung: Unsere Materie ist aus kleinsten Energieeinheiten aufgebaut, und diese Energieeinheiten verhalten sich sowohl wie Teilchen als auch wie Wellen. Das Verrückte: Unsere Beobachtung bestimmt ihr Verhalten! Um zu deiner Frage zu kommen: Ich glaube, wir können das nicht trennen – wir beide sind sowohl Teilchen als auch Wellen.
Fabian: Ich finde die Beschreibung von Alan Watts, dem amerikanischen Zen-Guru der 70er Jahre, sehr passend: Er sagte einmal, dass es so scheint, als könnten wir die Welt und ihre Menschen in «goo» und «prickles» unterscheiden, also klebriges und stachliges Zeug. Allerdings ist es wahrscheinlich näher an der Realität, wie Watts damals sagte, dass das Universum gleichzeitig aus klebrigen Stacheln und stachligen Klebern besteht. Ich schätze mit den Teilchen und Wellen ist es ähnlich.
Felicitas, du hattest den Kurs ja vor sechs, sieben Jahren entwickelt und zusammen mit Alex Porter gegeben, der Kurs war sehr erfolgreich. Wie bist du damals überhaupt auf das Thema gekommen?
Felicitas: Warum wirken alternative Heilmethoden? Das war die Grundfrage. Denn viele Gespräche mit NaturheilpraktikerInnen und -therapeutInnen haben mir gezeigt, dass sie sich selbst wie auch ihre PatientInnen und KlientInnen sehr für Erklärungen interessieren, wie alternative Heilmethoden wirken. Die wissenschaftlichen Konzepte dazu sind zwar einigen bekannt, aber ich wollte sie noch besser erklären. Mich selbst fasziniert die Frage nach dem innersten «Sein» und den komplexen Steuerungsprozessen der Natur seit meiner Studienzeit.
Und warum hast du diesen Kurs für zwei DozentInnen entwickelt? Damals also dich und Alex Porter?
Felicitas: Ach, ich wollte nicht nur etwas Theoretisches unterrichten, ich wollte es unbedingt mit praktischer Erfahrung kombinieren. In Alex fand ich einen begeisterten Energie-Magier, der bereit war, mit mir ein Konzept auszuarbeiten, in dem theoretische Erklärungen und praktische Erfahrungen fliessend ineinander übergehen. Dieser Mix zwischen theoretischer Annäherung und praktischer Erfahrung kam bei den StudentInnen sehr gut an. Alex entschloss sich dann nach drei erfolgreichen Kursen, seine Tätigkeit wieder ganz auf die Zauberei und das Theatermachen zu konzentrieren, weshalb wir den Kurs leider nicht mehr in dieser Form anbieten konnten. Es freut mich deshalb wirklich sehr, dass es eine Neuauflage des Kurses zusammen mit dir, Fabian, gibt! Die Vorbereitungen laufen bestens, das wird wirklich sehr gut.
Ein Kurs in Quantenphilosophie, und das an der Heilpraktikerschule – da ist der Begriff Quantenheilung nicht weit. Die ist ja in aller Munde, und es fragt sich ja auch, wie seriös sie ist.
Fabian: Wie mit vielem ist es nicht einfach, die Spreu vom Weizen zu trennen. Das ist besonders der Fall, wenn relativ anspruchsvolle Bezüge zu einem Teil der Wissenschaft gemacht werden, wo sich selbst die ExpertInnen uneinig sind. Daher muss man immer im Hinterkopf behalten, dass viele der Einsichten der Quantenphysik hypothetisch sind, also ein zwar einleuchtender, aber unvollständiger Erklärungsversuch.
Felicitas: Sehr schön hast du das gesagt! Ich bin davon überzeugt, dass jede Therapie wirkungsvoller wird, wenn man einen gewissen theoretischen Hintergrund zur Wirkungsweise dazu hat. Wissen und Verstehen von Zusammenhängen sind heilsam und können eine neue Dimension in das therapeutische Angebot bringen, auch wenn dieses Wissen hypothetisch ist. Wir müssen uns bewusst sein, dass wir immer nur den momentanen Stand des Irrtums kennen – wissenschaftliche Theorien gelten ja nur so lange, bis sie durch neue Experimente widerlegt sind. Verifizieren lässt sich in den Naturwissenschaften ja nichts. Aber auch wenn sich die Wissenschaft, wie Fabian sagt, gewissermassen im Kreis dreht und vieles hypothetisch bleibt, sollen wir uns dennoch mit diesem Wissen befassen und es praktisch erfahren. Um auf deine ursprüngliche Frage zurück zu kommen: Es geht im Kurs nicht um Quantenheilung, sondern um die Verbindung von wissenschaftlicher Theorie und therapeutischer Praxis.
Ihr unterrichtet also, wie du sagst, auf dem momentanen Stand des Irrtums, das ist doch ein schönes Bild. Auch wenn das heisst, dass vieles hypothetisch ist.
Fabian: Ja. Das sollte man eingestehen. Aber das gilt ja für vieles, sogar für die WestMed: Wie genau wird das Bewusstsein im Hirn erzeugt? Wie wissen Zellen, wie gross sie wachsen müssen, bevor sie sich teilen? Was genau macht die Allgemeinanästhesie mit unserer Biochemie? Wie funktioniert Paracetamol genau? Dazu haben wir Hypothesen, im besten Fall erprobte Theorien, welche diese Vorgänge ein Stück weit erklären. Das heisst, nur weil etwas noch nicht vollständig verstanden ist, lassen wir uns nicht davon abhalten, diese Ideen praktisch anzuwenden. Ähnlich ist es in der Quantenphysik und der Alternativmedizin sowie der Komplementärtherapie – es wäre Sünd und Schande, sie nicht zu durchleuchten und unser therapeutisches Repertoire damit zu bereichern. Ich bin da ganz pragmatisch. Ausserdem gibt es noch ein wissenschaftstheoretisches Argument.
Welches?
Fabian: Es besagt, dass die Wissenschaft sich zum einen rasant bewegt, zum anderen aber im Grossen und Ganzen häufig im Kreis dreht. Der Wissenschaftstheoretiker Thomas Kuhn nannte dieses Sich-im-Kreis-Drehen das zeitgenössische «Paradigma». Das ist in etwa das, was an Schulen und Universitäten unterrichtet wird. Bis sich ein neues Paradigma etabliert hat – häufig passiert das schlagartig – werden auch die seriösesten wissenschaftlichen Belege kaum ernst genommen.
Hast du ein Beispiel?
Fabian: Ja, das Princeton Engineering Anomalies Research Laboratory (PEAR Lab) war fast drei Jahrzehnte an einer amerikanischen Eliteuniversität aktiv. Während dieser Zeit versuchten die Wissenschaftler dort vor allem eins: Würfelmaschinen (Random Event Generator) durch Gedankenkraft zu beeinflussen. Ein ziemlich einfaches experimentelles Design, das aber eine sehr wichtige Hypothese der Quantenphysik prüft. Die Befunde waren eindeutig und eigentlich revolutionär, aber das PEAR Lab wurde wie eine Peinlichkeit behandelt und die Befunde kaum beachtet. So ist es mit den Paradigmen – zuerst werden Befunde ignoriert, dann belächelt, dann bekämpft, und irgendwann sind sie selbstverständlich.
Muss man nicht PhysikerIn sein, um über Quanten sprechen zu können? Für wen ist dieser Kurs?
Felicitas: Ich bin zwar nicht Physikerin, doch Physik gehörte zum Grundstudium an der ETH. Ich glaube, dass eine naturwissenschaftliche Grundausbildung die Diskussion über Quanten erleichtert. Als Pädagogin bin ich aber überzeugt davon, dass man alles, selbst Quantenphysik zumindest in den Grundzügen so erklären kann, dass sie auch von Nicht-PhysikerInnenn nachvollzogen werden kann. Ich werde in meinen Erklärungen keine einzige Formel brauchen. Die theoretischen Grundlagen des Kurses sind für alle verständlich, das hat sich schon in den ersten Durchführungen gezeigt.
Fabian, du unterrichtest QiGong: Das Qi, das du da spürst, inwiefern hat das etwas mit Quanten zu tun?
Fabian: Das qi ist ein vitalistisches Konzept, ähnlich dem pneuma im alten Griechenland, dem prana in Indien oder dem ruach in der hebräischen Tradition. Häufig wurden diese Konzepte als «Atem des Lebens» verstanden, das den gesamten Kosmos durchdringt und belebt und im Menschen irgendwo zwischen Körper und Seele steht. Bis vor etwa hundert Jahren hatten auch viele westliche Wissenschaftler ähnliche, zum Teil recht skurrile Vorstellungen dazu, etwa der animalische Magnetismus von Franz A. Mesmer, das Orgon von Wilhelm Reich, der Élan vital von Henri Bergson, die Entelechie von Hans Driesch, und und und. In China wurde während der 80er und 90er Jahre das qi im ganzen Land im grossen Stil erforscht und in der Agrikultur, Medizin, Industrie und Pädagogik angewendet. Die Bezüge zwischen qi und Quantenphysik sind aber relativ neu.
Ketzerische Frage: Gehört die Quantenphysik nicht auch zu diesen skurrilen Vorstellungen?
Fabian: Ja, sicher. Vieles, das wir nicht kennen und unseren existierenden Vorstellungen widerspricht, erscheint zuerst einmal skurril. Mir aber hilft die Quantenphysik, Konzepte wie qi, pneuma, prana oder ruach besser zu verstehen. Die Quantenphysik gibt uns Erklärungsansätze zu dem, was diese Konzepte verbindet. Aus meiner Sicht sind das die Einheit und grundlegende Verbundenheit aller Materie im Kosmos, also der sogenannte materielle Monismus, sowie das Zusammenspiel des Bewusstseins mit dieser Materie. Das Ziel der Quantentherapie ist genau das: dieses Zusammenspiel gezielt anzuwenden, um damit unser Wohlbefinden zu steigern.
Felicitas, wenn Fabian sagt, qi, pneuma, prana, ruach seien Konzepte, heisst das, diese Dinge gibt es nicht? Oder ist das dann auch Thema des Kurses? Ich will ja nicht vorgreifen, aber die Frage erscheint ja schon wesentlich: An der Heilpraktikerschule geht es ja zumindest ums Qi und ums Prana.
Felicitas: Die Quantenphysik zeigt, dass es eine objektive Realität nicht gibt. Unser Erfahrungshorizont beschränkt sich auf die Umgebung, die für unsere Sinne wahrnehmbar ist. Doch ich glaube, wir reden alle vom Selben: Bei den Physikern werden bei der Diskussion über solche Konzepte einfach andere Begriffe dafür gebraucht: zum Beispiel Higgsfeld, Nullpunktfeld, Morphisches Feld oder Quantenfeld.
Fabian: Nein, solche «Konzepte» sind nicht automatisch Hirngespinste, sondern Einladungen zur Erweiterung unseres Horizontes. Meines Erachtens liegt die Weisheit häufig in der Erkenntnis, dass man weniger weiss, als man zu wissen glaubt. Sokrates sagte sogar: Ich weiss nur, dass ich nichts weiss. Und Laozi sagte ähnlich: In der Suche nach Wissen wird jeden Tag etwas hinzugefügt, in der Suche nach dem dao wird jeden Tag etwas fallen gelassen. Das ist sicher auch eine vernünftige Einstellung angesichts der unvorstellbaren Grösse und Komplexität des Universums – 96% davon bestehen aus uns praktisch unbekannter dunkler Materie bzw. dunkler Energie – und der Tatsache, dass ein Grossteil unseres heutigen Wissens kaum hundert Jahre alt ist.
Du leitest im Kurs zu Übungen an, durch die man das, was ihr im Kurs unterrichtet, auch erfahren, spüren kann. Hast du uns, für unsere Neugier, schon hier eine kleine Übung?
Fabian: Schliesse deine Augen für eine Minute, und versuche, rein gar nichts zu denken. Wie lange schaffst du das wohl? Die allermeisten Menschen kommen auf wenige Sekunden, bevor sie einem uneingeladenen Gedanken nachgehen. Häufig wiederholen sich diese Gedanken – sie sind Gedankenmuster.
Und was ist der Punkt dieser Übung?
Fabian: Nun, die Quantenphysik zeigt, dass das Bewusstsein die Materie beeinflusst. Zumindest in der Grössenordnung von Atomen und einigen Molekülen ist dies nicht umstritten. Interessant wird es aber, wenn wir uns überlegen, ob dies ein allgemeines Prinzip ist, das in unserer ganzen Lebenswelt ebenfalls gilt. Wenn wir aber unserem Bewusstsein, also diesen Gedankenmustern freien Lauf lassen, ihnen ja kaum eine Minute entgehen können, wie beeinflussen sie uns und unsere Umwelt? Was stellen sie mit uns und unserer Umwelt an? Und die nächste Frage: Wie ist es möglich, die Kraft des Bewusstseins gezielt und positiv anzuwenden? Aus Sicht des QiGong ist die Hauptursache von Krankheit und Leiden daher das Vernachlässigen unserer Fähigkeit, das Bewusstsein und somit das qi und den Körper effektiv zu steuern.
Bewusstsein und Materie, ihr bringt da ja wirklich packende, ja grundlegende Themen.
Felicitas: Ja, diese tiefen Zusammenhänge innerhalb der Natur und die unglaublich vielfältigen Interaktionen zwischen Lebewesen sind faszinierend. Belebte und unbelebte Materie unterscheiden sich nicht, rein vom Aufbau her betrachtet. Doch Lebewesen zeigen gewisse Eigenschaften, welche man bei unbelebter Materie nicht feststellt. Diese «Merkmale des Lebens» faszinieren mich! Die unglaubliche Komplexität von Lebewesen und ihre Vernetzung versetzt mich immer wieder ins Staunen und macht mich sehr demütig. Es gibt immer mehr WissenschaftlerInnen, die davon ausgehen, dass Lebensprozesse an der Schnittstelle zur Quantenphysik passieren. Der Forschungszweig der Quantenbiologie zeigt viele spannende Erkenntnisse, welche diese These stützen. Es ist mir ein Herzensanliegen, meine eigene Faszination mit anderen Menschen zu teilen und sie dadurch vielleicht auch für das Wunder «Leben» zu begeistern.
Danke, Felicitas und Fabian, für das inspirierende Gespräch.
Felicitas Marbach-Lang
Dipl. Naturwissenschafterin ETH, WestMed-Dozentin HPS, Mittelschullehrerin am Fach- und Wirtschaftsmittelschulzentrum Luzern für Biologie, Humanbiologie und Naturwissenschaften; Gemeinderätin in Adligenswil, Familie, Kinder, Velofahren.
Fabian Winiger
Dr. phil. in Anthropologie: Ph.D. Med. Anthropologie (Hong Kong), M.Sc. Med. Anthropologie (Oxford), Postdoc Universität Zürich (Spiritual Care und Global Health), zert. Ausbilder REN XUE, Yuan Qigong und Yuan Ming Medizin, Gründungsmitglied Verein REN XUE Schweiz; wohnt in Stäfa.
Klebrig? Stachelig? Siehe Youtube -Suchresultate für On Prickles and Goo