Cranio, alles andere als leise
Ebikon, 22. März 2019 – Mehr dazu ein andermal, hat Schulleiter und Shiatsu-Therapeut Peter von Blarer versprochen, nachdem er bei Cranio-Dozent Joël Rouiller in Behandlung gewesen war. Jetzt haben wir die beiden zum Gespräch getroffen.
Seit Schulleiter Peter von Blarer (l.) bei Joël Rouiller in der Craniosacral-Therapie war, schwärmt auch er von dieser feinen Methode, es hat gefunkt.
Peter, du warst bei Joël in Behandlung, seither bist du völlig begeistert von Cranio.
Und wie! Cranio bewegt, setzt Prozesse in Gang. Es erweitert die körperliche Wahrnehmung.
Was ist passiert?
Ich hatte Hautprobleme und deshalb Joël um Hilfe gebeten. In seiner Praxis hat er eine Organbehandlung gemacht und mich noch vorgewarnt, es könne schaffen.
Und dann?
Und ja, erstmal ist alles viel schlimmer geworden. Das ist für mich ein gutes Zeichen.
Ein Beweis für die Wirkung?
Genau, es zeigt, Cranio kann Einfluss darauf nehmen. In meinem Fall wurde klar, wo die Ursache liegt, nämlich im Bauchraum. Da sind die Verdauungsorgane, also auch das Thema Ernährung.
Und Cranio hat geholfen, die Hautprobleme sind weg?
Erst ist alles schlimmer geworden, da wusste ich: Joël hat etwas getroffen, etwas ausgelöst. Und jetzt hat sich alles normalisiert.
Joël, war das für dich eine ganz gewöhnliche Situation?
Nun ja, Standardsituationen gibt es in der Craniosacral-Therapie so nicht. Es war eine gewöhnliche Behandlung für mich, eine Klienten-Therapeuten-Situation, in der schnell klar wurde, wohin es geht.
Also habt ihr das Thema erst besprochen?
Kurz haben wir darüber gesprochen, obwohl das in der Canio nicht mal immer nötig ist. Ich verlasse mich mehr auf mein Gefühl. Wenn ich in der Anamnese schon zu viel erfahre, kann das auch hinderlich sein. Durch Cranio kommen ja gerade auch unbewusste Themen und Spannungen zum Vorschein.
Und wie, wenn man nicht darüber spricht?
Die Weisheit ist im Körper, im Gewebe, in den Pulsen. Der Körper meiner KlientIn zeigt mir, wohin ich gehen soll. Ich spüre zum Beispiel Verhärtungen im Gewebe und habe das Ziel, es wieder zu lösen, dieser Stelle Raum zu geben.
Peter, du bist ja eigentlich Shiatsu-Therapeut, weshalb hast du dich für Cranio entschieden?
Ich war neugierig, wollte Cranio an einem konkreten Problem erleben. Und vielleicht auch, weil wir diese Cranio-Ausbildung neu im Angebot haben, Joël gehört zu unserem neuen DozentInnen-Team.
War das für dich ganz anders als ein Shiatsu?
Es ist ähnlich, keine völlig andere Welt. Schlussendlich geht es darum, im Körper zuhause zu sein, das ist nach wie vor mein Lieblingsgedanke. Die Behandlung hat mir das Gefühl von Weite gegeben, Freiheit. Auch Elastizität, Dynamik – was auch immer, etwas komische Begriffe – es gibt ein rundes Gefühl, zuhause zu sein.
Also gut?
Definitiv. Während der Behandlung sogar leicht schmerzhaft, das hat mich überrascht.
Joël: Die Viszerale Manipulation, also Organ-Manipulation, ist das taffste, was diese Methode bietet. Der Ansatz von Canio ist immer «geh mit», doch in dieser Behandlungsform gehe ich etwas weiter, nehme das Gewebe mit. Es geht etwa um Verklebungen, oder darum, etwas vitaler zu machen.
Cranio, wie oft soll ich da hingehen?
Joël: Vier bis fünf Behandlungen empfehle ich in der Regel, dazwischen jeweils ein bis vier Wochen Abstand, je nach Fall. Die Behandlung ist ein Weg, der braucht seine Zeit. Vielleicht treffen wir schon am Anfang auf den Kern des Problems, doch gerade bei emotionalen Themen zeigen sich Blockaden oft später.
Nur im Krankheitsfall oder präventiv?
Cranio ist nicht Wellness, auch wenn es gut tut. Bei Peter war es akut. Darauf ist die Cranio ausgerichtet: Es gibt ein Problem und das soll wieder gut werden. Resolution, die Heilung eines krankhaften Prozesses.
Und du löst das?
Meine KlientInnen erhalten keine Lösungen, das sage ich ihnen ganz klar. Vielleicht können sie zum ersten Mal eine Alternative sehen. Doch sich entscheiden und auswählen, das müssen sie schon selber.
Und wie?
In einer emotionalen Behandlung erzeuge ich Gefühle. Solche, die vielleicht in einem gewissen Lebensalter gefehlt haben und so das Leben prägen. Die KlientIn erlebt das Gefühl. Also reden wir nicht nur darüber, wie es zum Beispiel ist, wenn die Eltern nie für dich da waren. Man darf fühlen, wie es gewesen wäre, wenn sie dagewesen wären. So schaffen wir eine alternative Realität, doch gefühlsmässig ist sie real. Man fühlt das dann so. Und dann geht es darum, das ins Leben zu integrieren.
Konkret?
Zum Beispiel die Möglichkeit zu erkennen, sich auf eine Beziehung einzulassen. Oder jemand, der sich aus Angst an eine Beziehung klammert, kann so zum ersten Mal eine leidenschaftliche Beziehung erleben. Das ist dann die somato-emotionale Arbeit. In dem Moment, in dem du ein neues Gefühl erlebst, vernetzt du. Das verändert dein Gewebe, auch neurologisch gibt das Veränderungen, man kann etwas loslassen.
Peter: Das ist für mich die übergeordnete Ebene von Körperarbeit: ob das jetzt Cranio, Shiatsu, TuiNa oder Ayurveda ist. Cranio hat die Eigenheit, dass sie mit anatomischen Strukturen arbeitet, zum Beispiel Nerven. Im Shiatsu arbeiten wir mir Meridianen.
Joël, wie bist du zu Cranio gekommen?
Ich habe während meines Medizinstudiums mit Cranio begonnen. Eigentlich habe ich nicht daran geglaubt; pulsieren, Lebensatem. Mein Chirurgie-Professor hat bestätigt: Nein, da bewegt sich nichts. Davon wollte ich mich selber überzeugen, und so habe ich mich für einen Kurs angemeldet.
Jetzt bist du Teil des neuen DozentInnen-Teams. Wie war dein erster Kurs?
Neu ist für mich, dass die StudentInnen unterschiedliche Grundlagen mitbringen und verschiedene Ziele verfolgen. Einige machen die Kurzausbildungen, andere bringen therapeutisches Wissen mit. Ich war beeindruckt, wie schnell die StudentInnen den Craniosacral-Rhythmus wahrgenommen haben. Während in meiner Ausbildung bezweifelt wurde, ob man den überhaupt spüren könne, wenn er nicht sichtbar sei, wird das heute kaum noch in Frage gestellt.
Wie erklärst du dir das?
Bei uns galt noch: Was man nicht sieht, existiert nicht. Wir mussten erst trainieren, diese Zweifel loszulassen, um wahrnehmen zu können. Heute wird weniger an dem Konzept gezweifelt, die Leute sind sehr offen, das unterstützt ihre Wahrnehmung. Die gesellschaftliche Akzeptanz ist sicher gestiegen, sowie die Nähe zum eigenen Fühlen.
Peter, wie ist das möglich, beide Ansätze, biodynamisch und biomechanisch, in einer Ausbildung anzubieten?
Ich möchte unseren StudentInnen die Chance geben, sich darin zu vertiefen, wofür sie brennen. Das fördert auch die Offenheit für andere Ansätze. Bei der Schulmedizin ist es doch ähnlich: Wer Naturheilkunde lernen möchte, soll doch erst einen Naturheilkunde-Kurs besuchen. Dann wächst der Wunsch wie von selber, auch Schulmedizin zu lernen. Das ist schöner, als wenn man erst Schulmedizin abschliessen muss, bevor man mit Naturheilkunde beginnen darf.
Und was heisst das für Cranio?
Biodynamische und biomechanische Cranio befruchten sich gegenseitig. Unsere DozentInnen sind jeweils auf einem Gebiet spezialisiert. Schon im ersten Kurs «Cranio: Basis» machen die StudentInnen die Erfahrung mit beiden Richtungen.
Joël: Die Vorliebe für eine Richtung entwickelt sich mit der Zeit. Und auch später, kann sie sich verändern. Es gibt Phasen, in denen arbeite ich mehr emotional, dann wieder strukturell. Das hängt stark von den KlientInnen ab.
Peter: Es ist doch schön, wenn ich in der Behandlung die Wahl habe, das sind wie zwei Werkzeugkisten, die mir offenstehen.
Joël, du spielst in einer Guggenmusik, warst an der Luzerner Fasnacht unterwegs. Ganz schön laut. Was ist dir lieber: die lauten Rhythmen der Fasnacht, die leisen der Cranio?
Ich bin kein Freund der Stille. Wenn ich behandle, ist das für mich alles andere als leise. Da geht ganz vieles: Es ist nicht laut, aber nicht still. Es ist fein. Und das Feine gefällt mir. Ich kann bei der Arbeit sehr gut abschalten. Dabei höre ich dem Körper meiner KlientIn zu, die lauten Bässe, die hellen Posaunen. Ein wahrnehmendes Hören und Mitgehen. Wie die Kinder an der Fasnacht, die zur Guggenmusik aufschauen und sich mitziehen lassen. Sie tanzen und vergessen alles um sich. Ich tanze mit dem Gewebe, lausche dem Takt des Pulses, ein berauschendes Gefühl.
Danke, Peter und Joël.
Hinweis zu Peters Lieblingsgedanken des Im-Körper-Zuhause-Seins: siehe bzw. lese Wolfgang Schmidbauer: Im Körper zuhause – Alternativen für die Psychotherapie, 1982
Die Cranio-Ausbildungen: die Kurzausbildung hier, der Studiengang (eidg. Diplom) hier, und das Basis-Modul hier.
Joël Rouiller
Sein Studium an der Universität Zürich begann er mit Veterinärmedizin, nach dem ersten Jahr wechselte er in die Humanmedizin. Und dann war da die grosse Begeisterung für Reiki. Und nach fünf Jahren an der Universität der Entschluss, sich ganz auf Cranio zu konzentrieren. Joël ist Dipl. Craniosacral-Therapeut und hat einen Bachelor in Psychologie. In Luzern führt eine eigene Praxis für Craniosacral- und Trauma-Therapie, Psychologische Beratung und Gesundheitscoaching.
Peter von Blarer
Ist Mitglied der Schulleitung und Miteigentümer der Heilpraktikerschule Luzern: aus Zürich, seit 1992 glücklich in Luzern, ursprünglich Elektroniker, dann Shiatsu, Akupunktur, Chinesische Arzneimittel, Ernährung nach den 5 Elementen, Westliche Kräuter nach TCM, Komplementärtherapeut mit eidg. Diplom. Und immer viel berufspolitisches Engagement.