«Bei Sportverletzungen reicht oft die Behandlung über TCM»
Ebikon, 23. Januar 2018 – Karl Zippelius und Rolf Rothe kennen sich mit verletzten SportlerInnen aus und bringen sie wieder zurück ins Training und in den Wettbewerb – mithilfe von TuiNa und Kräuterrezepturen, manchmal auch Akupunktur. Dazu bieten die beiden eine Weiterbildung für TCM-TherapeutInnen an der Heilpraktikerschule Luzern.
«Häufig leiden unsere PatientInnen an Beschwerden, deren Ursache schon eine Weile zurückliegt, manchmal sogar mehrere Jahre.» Dr. med. Karl Zippelius (rechts) und Rolf Rothe (links) behandeln akute sowie chronische Beschwerden mit TCM. Dennoch wünschen sie sich, dass PatientInnen nach einem Unfall weniger lang zuwarten, bevor sie sich bei ihnen melden.
Traumatologie und Orthopädie, da denke ich an Sportverletzungen wie Bänderzerrungen, Verstauchungen und Schienbeinentzündungen. Welche Verletzungen und Erkrankungen behandelt ihr in eurer Weiterbildungsveranstaltung?
Dr. med. Karl Zippelius: Es geht um die häufigsten Verletzungen wie Kreuzbandrisse, Muskelzerrungen und Frakturen. Dazu die wichtigsten Schmerzsyndrome, also Beschwerden an Lenden- und Halswirbelsäule, Sehnenentzündungen, Knieschmerzen und Arthrosen.
Karl, du bist promovierter Sportmediziner. Wann und wie bist du auf die TCM gestossen?
Karl: Kurz nachdem ich mein Medizinstudium abgeschlossen hatte, das war vor 25 Jahren. Ich habe Lösungen für Probleme gesucht, die ich in der Schulmedizin nicht fand.
Probleme?
Karl: Ja, als ich das erste Mal in einer orthopädischen Praxis gearbeitet habe, habe ich viele PatientInnen gesehen, die schon geahnt haben, dass etwas gebrochen oder gerissen ist. Dann die Verordnung: «Gips, sechs Wochen Ruhe.» Viele waren schockiert von der Vorstellung, wochenlang durch einen Gips im Alltag behindert zu sein. Ich dachte mir, da muss es bessere Wege geben als eine vollständige Ruhigstellung. So bin ich auf die TCM gestossen, auf die dynamische Frakturbehandlung mit TuiNa, Kräuterbehandlungen und Schienenanwendung.
Rolf, du bist TuiNa-Experte, Karl ist Sportmediziner. Wie ergänzt ihr beide euch im Unterricht?
Rolf Rothe: Uns zwei verbindet die Begeisterung für die Traumatologie und Orthopädie in der Chinesischen Medizin. Und ein gewisses handwerkliches Faible für traumatologische und orthopädische Anwendung, das sich auch in der historischen Entwicklung der Methodik in China findet.
Karl: In der TCM ist TuiNa ein Teil des ärztlichen Handelns, deswegen muss beides unterrichtet werden: Theorie und Praxis. Ich lege den Schwerpunkt auf die innere und äussere arzneiliche Anwendung sowie Akupunktur.
Rolf: Mein Fokus liegt auf der äusseren Anwendung von Anmo-TuiNa und den Erfahrungen, die ich mit der äusseren arzneilichen Anwendung gemacht habe. So ergänzen wir uns und werfen uns im Unterricht den Ball zu. Wir unterstützen einander, dazu kommen die Fragen der StudentInnen, so ist der Unterricht sehr lebendig und praxisbezogen.
Bei welchen Verletzungen und Erkrankungen empfiehlt sich TuiNa?
Rolf: Anmo-TuiNa empfiehlt sich bei allen geschlossenen Verletzungen und stabilen oder stabilisierten Strukturen. Ist das Knochenmark oder die Knochenhaut entzündet, ist TuiNa tabu. Andere Kontraindikationen sind Infektionen, Hautverletzungen und akute Entzündung im Behandlungsbereich.
Und doch gibt es Situationen, in denen TuiNa die richtige Methode ist?
Rolf: Anmo-TuiNa eignet sich im klinischen Bereich bei ausgewählten Befunden, auch im Akutstadium, und ist bei Verletzungen als auch Erkrankungen anwendbar. Natürlich vorausgesetzt, dass die TherapeutIn die Behandlungstechniken beherrscht, diese Techniken sind äusserst differenziert und müssen gut eingeübt sein.
Inwiefern unterstützt Anmo-TuiNa die Heilung von Sportverletzungen?
Rolf: TuiNa kann Blockaden und Stagnationen lösen, die Zirkulation von Blut, also Xue, sowie Säften, also Jinye, unterstützen und die Heilungskräfte anregen. So wird der Zellmüll, die trübe Substanz aus dem verletzten Bereich abtransportiert. Anmo-TuiNa wird im privat-praktischen, also im nicht-klinischen Bereich in Betracht gezogen, eher ab dem subakuten Stadium und nur nach ärztlicher Abklärung.
Hast du gerade kürzlich einen solchen Fall erlebt?
Rolf: Eine Patientin erlitt am Wochenende eine ligamentäre Distorsion ihres Sprunggelenkes. Sie klagte über starke Schmerzen und Schwellungen. Die notfallärztliche Abklärung schloss aus, dass etwas gerissen war. Nach drei TuiNa-Behandlungen in der darauffolgenden Woche konnte sie ihr Bein schon fast wieder vollständig belasten und die Schwellung war beinahe abgeklungen. Ich setzte manuelle Techniken ein, die verteilend, zerstreuend und auflösend wirken. Dazu äussere chinesisch-medizinische Rezepturen.
TänzerInnen, FussballerInnen oder Hobby-SportlerInnen – wer gehört zu euren klassischen PatientInnen?
Rolf: Meine PatientInnen leiden auptsächlich an chronischen orthopädischen Beschwerden. Manchmal führen Verletzungen, die Jahre zurückliegen, noch immer zu Beschwerden.
Karl: Zu mir kommen ProfisportlerInnen aus ganz verschiedenen Sportarten. In meinem Patientenstamm sind BerufstänzerInnen von Konzerthäusern in Berlin, Paris und Mailand. Doch ich behandle auch viele FreizeitsportlerInnen und SchmerzpatientInnen.
BerufstänzerInnen? Darüber wollen wir mehr erfahren.
Karl: Ein Profitänzer eines deutschen Ballettensembles kam mit einer Bänderverletzung am Sprunggelenk zu mir nach Florenz in die Praxis. Er hatte schon mehrere Wochen westliche Therapie und Physiotherapie hinter sich. Da sich Schmerzen, Schwellung und die Belastbarkeit unter dieser Therapie nicht verbesserten, fürchtete er das Ende seiner Karriere, die erst gerade begonnen hatte. Wir behandelten ihn über mehrere Wochen mit Akupunktur, TuiNa und Kräutern. Seine Schmerzen gingen zurück, ebenso die Schwellungen. Heute ist er Solotänzer an der Mailänder Scala und tanzt wieder ohne Beschwerden.
Wäre das auf westmedizinischem Weg nicht gegangen?
Karl: Die westliche Medizin alleine hat sich in diesem Fall nicht bewährt. Mit der TCM ist es uns gelungen, die Stagnation von Blut und Qi zu beseitigen, sowohl regional über die Meridiane als auch systemisch, eine Leber-Qi-Stagnation in Verbindung mit Nieren-Qi-Schwäche zu behandeln.
Kräuteranwendungen sind dein Thema im Kurs. Welches Kraut ist für dich unverzichtbar?
Karl: Ich möchte weder auf Myrrhe und Weihrauch verzichten, noch auf Carthamus, Artemisia aiye und Zimt. Diese Kräuter würde ich auf die allbekannte einsame Insel mitnehmen. Erfreulicherweise sind heute die meisten TCM-Kräuter, die ich verwende, problemlos im Handel erhältlich. So kann ich komplexere Formeln, wie sie in der TCM-Orthopädie und -Traumatologie vorgesehen sind, verwenden und muss mich nicht auf wenige Kräuter beschränken.
Kräuter in Kompressen, Umschlägen und Tinkturen – helfen sie da, wo die Akupunktur nicht weiterkommt?
Karl: Ich würde das gar nicht so gegeneinander stellen. Jede Methode hat ihre Stärken, Schwächen und Indikationen. Die Akupunktur vermag Energien zu bewegen und zu regulieren. Kräuter können sehr effektiv Leitbahnobstruktionen durch Blutstasen und pathogene Faktoren beseitigen. Ich wende gerne Externas an. Für «Jie Gu Gao» zum Beispiel vermische ich gemahlene Kräuter mit Honig, das unterstützt die Heilung bei Frakturen im subakuten Stadium. Oder «Du Huo Ji Sheng Tang», das als innere Rezeptur bei Rückenschmerzen wie Ischias-Beschwerden oder Bandenscheibenvorfällen hilft. Die Rezepte schauen wir im Kurs an.
In welchem Fall schickst du deine PatientInnen zu einer SchulmedizinerIn?
Rolf: Bei allen Befunden, die im Rahmen meiner heilpraktischen Tätigkeit nicht primär behandelt werden dürfen. Und auch wenn es weiterer Abklärungen bedarf. Da reicht der Verdacht auf eine Infektion, Entzündung oder instabile Strukturen wie Luxationen und Frakturen. Auch bei onkologischen Ursachen oder Begleitbefunden ist Schulmedizin vorrangig, zum Beispiel bei Frakturen, die durch einen Tumor verursacht werden.
Braucht eine Sportverletzung immer eine schulmedizinische Behandlung?
Karl: Nein, oft reicht die Behandlung über TCM, da sie auch Immobilisierung und Bewegungstherapie beinhaltet. Allerdings helfen differenzierte diagnostische Möglichkeiten der westlichen Medizin, um das Ausmass einer Verletzung zu beurteilen und festzustellen, ob ein chirurgischer Eingriff sinnvoll oder nötig ist. Ich denke an Röntgen, Ultraschall und Magnetresonanz.
Wer zu euch in die Praxis kommt, leidet meist an einer akuten Verletzung, richtig?
Karl: In der Regel kommen nur diejenigen Patienten in der Akutphase vorbei, die bereits einmal gute Erfahrungen mit der TCM-Behandlung im akuten Stadium gemacht haben. Häufiger kommen die PatientInnen erst in der suabakuten und chronischen Phase des Traumas, da haben sie bereits Komplikationen und Schmerzen. Besser würden sie sofort nach der Verletzung kommen, da wir gerade die Erstsymptome wie Schwellungen, Schmerzen und Blutergüsse erfolgreich behandeln können. Es ist sehr ungünstig, wenn viel Zeit zwischen Unfall und Behandlung verloren geht. Warum, das werden wir im Kurs ausführlich diskutieren.
Rolf: Leider ist auch die chinesisch-medizinische Traumatologie noch nicht Teil der allgemeinen medizinisch-heilkundlichen Versorgung. So mangelt es auch bei mir an AkutpatientInnen.
Kann TuiNa einen angerissenen Meniskus heilen?
Rolf: Keine rein konservative Behandlung kann einen angerissenen Meniskus nach wissenschaftlich-medizinischen Erkenntnissen heilen, weder die Massage, noch Bewegungs- oder Physiotherapie. Mir ist auch kein Fall bekannt, in dem das durch die Anwendung von Anmo-TuiNa gelungen ist.
Ja, was kann denn TCM besser als die WestMed? Schneller heilen? Oder nebenwirkungsfreier heilen?
Rolf: Mit solchen absoluten Antworten bin ich eher vorsichtig. Schneller heilen? Die Methoden lösen Blockaden und Stagnationen und sie fördern die Zirkulation. So wird die Besserung beschleunigt, die Heilung tritt schneller ein. Und ja, bei fachgerechter Anwendung sind Nebenwirkungen fast ausgeschlossen.
Empfehlt ihr euren PatientInnen auch präventive Massnahmen?
Rolf: Yangsheng, das traditionelle Konzept der Lebens- und Gesundheitspflege, ist ein wichtiger Aspekt der Chinesischen Medizin. Dazu gehört die Beratung zu Haltungs- und Bewegungs- und Belastungsmustern, privat und im Beruf.
Konkret?
Rolf: Bei orthopädischen und traumatologischen Befunden lasse ich mir die entsprechenden Bewegungs- und Haltungsmuster zeigen, um dahingehend zu beraten. Denkbar ist auch eine therapeutische Kooperation mit einem Sportverein und der TrainerIn. Ich empfehle auch gerne Übungen aus dem reichen Erfahrungsschatz der chinesischen Bewegungskunst.
Karl: Ich erkläre meinen PatientInnen die Grundlagen der TCM: Was Qi, Yin und Yang, Meridiane und die 5 Elemente sind und was sie selbst tun können, um das Qi in den Meridianen fliessen zu lassen. Ein freier Fluss des Qi im Körper ist die beste Prävention.
Danke für das Gespräch, Rolf und Karl.
Dozenten
Dr. med. Karl Zippelius führt eine eigene Praxis mit Schwerpunkt TCM-Traumatologie und -Orthopädie in Florenz. Ausserdem leitet er das Ambulatorium für Traditionelle Chinesische Medizin am Österreichischen Institut für Sportmedizin und unterrichtet an verschiedenen Universitäten in Italien und Deutschland. Vor über 15 Jahren hat er eine Firma gegründet, die Naturprodukte für den Bewegungsapparat herstellt.
www.tcm-sportsmedicine.info
Rolf Rothe ist seit 1995 Heilpraktiker, hat eine Schule für TuiNa gegründet und arbeitet als freiberuflicher Dozent in Deutschland, Österreich und in der Schweiz. Schon seit 40 Jahren übt er sich in traditioneller chinesischer Kampfkunst im Stil des Wuzuquan und ist Mitglied der Internationalen Südshaolin Wuzuquan Association. Bevor er sich ganz der TCM gewidmet hat, war er als ausgebildeter Masseur, medizinischer Bademeister und Sportphysiotherapeut tätig.
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Modul
Der nächste Kurs mit Karl Zippelius und Rolf Rothe:
- TCM: Traumatologie, Orthopädie