«Ich wollte einen Beruf, der mich erfüllt»

Ebikon, 29. April 2016 – Am Grossen Schnuppertag vom 28. Mai 2016 geben die beiden Shiatsu-Therapeutinnen Christina Brunner und Doris Mutter je einen Schnupperkurs. Im Interview erzählen Chris und Doris, was Shiatsu ihnen bedeutet.

Doris Mutter: Shiatsu ist Losgelöst-Sein, In-der-Stille-Sein, in einer anderen Atmosphäre, auf Wellen getragen.

Chris, dein ursprünglicher Beruf ist kaufmännische Angestellte. Wie bist du zum Shiatsu gekommen? 

Chris: Bei mir war es Zufall. Eigentlich hatte ich mich für eine Ausbildung zur NaturheilpraktikerIn interessiert, und ich hatte mit Peter von Blarer ein Gespräch, er erzählte mir von der TCM, er hatte auch Shiatsu erwähnt, aber ich hatte keine Ahnung, was das war. Mir ging es ja um das Naturheilkundliche, in meiner Familie hatte das immer einen grossen Wert. Wir hatten einen riesigen Garten mit vielen Kräutern. Was Shiatsu ist, hatte ich also gar nicht erst gefragt. Dass diese Ausbildung damals dieses Shiatsu beinhaltete, war halt einfach so. Ja, und dann war ich im ersten Shiatsu-Kurs, und da hat es mich gepackt und nicht mehr losgelassen, bis heute.

Doris, du bist ursprünglich Verkäuferin. Wie war das bei dir?

Doris: Mein Beruf hat mich ja nie wirklich befriedigt. Es war ok, als Verkäuferin zu arbeiten, aber eben bloss ok. Als die Kinder langsam grösser wurden, habe ich mir eine neue berufliche Herausforderung gesucht. Ich wollte etwas, das mich richtig erfüllt, einen Beruf, in dem ich die Menschen als Ganzes nehmen und verstehen und sie mit ihren Themen therapeutisch begleiten kann. Das war für mich zuerst die TCM, doch als ich mich dazu informieren wollte und deshalb am Infoabend war, sah ich da diesen Shiatsu-Film mit Ulrike und Peter. Da wusste ich sofort: Das ist es.

Was ist denn das Tolle an Shiatsu?

Doris: Diese Art, wie ich über die Körperberührung und auch über das Gespräch Menschen begleiten, ihnen helfen kann, diese Art ist faszinierend. Eine achtsame Begegnung zwischen zwei Menschen. 

Chris: Dazu kommt noch etwas ganz Praktisches. Als Therapeutin muss ich nicht über längere Zeit am gleichen Ort sitzen oder stehen. Wir bewegen uns und verändern unsere Haltung. Wir arbeiten nicht nur mit den Händen oder Daumen, sondern wir können auch mal die Knie, die Ellbogen oder die Unterarme einsetzen. Diese Art zu arbeiten ist sehr ruhig und doch dynamisch. 

Doris: Ja, im Shiatsu kommt man in eine völlig andere Form von Kommunikation hinein. Es ist eine Therapieform, in der ich in fliessender Bewegung bin.

Chris: Auch für mich als Therapeutin ist das sehr angenehm. Nach einer Shiatsu-Sitzung bin auch ich gelöst und entspannt.

Bei welchen Indikationen erzielt ihr Erfolge?

Doris: Shiatsu hilft fast immer bei Migräne, Verdauungsbeschwerden, Mensbeschwerden und Muskelverspannungen. Etwas überspitzt gesagt: Manchmal gibt es Erfolge sogar dann, wenn ich selber kaum daran glaube.

Chris: Tatsächlich, es ist ja schon erstaunlich. Ich glaube, es lohnt sich immer, auszuprobieren, ob man mit Shiatsu weiterkommt, entweder mit Shiatsu alleine oder als zusätzlicher Therapie, zum Beispiel zu schulmedizinischen Behandlungen. Beispiele sind Schlafstörungen, Erschöpfungs-Syndrom, Depressionen oder Verstimmungen, Klimakterium, Darmstörungen und Verspannungen im ganzen Körper, Shiatsu hilft da wirklich wunderbar.

Habt ihr konkrete Erfolgsbeispiele?

Doris: Es gibt ganz viele Erfolgserlebnisse, aber ich bin mir nicht sicher, wie fest ich einen Erfolg auf meine Behandlung zurückführen kann. Erfolg habe ich als Therapeutin dann, wenn auch die KlientIn dazu bereit ist.

Chris: Ja, ich frage mich auch manchmal, was mein Anteil am Erfolg ist. Aber lass uns ein wenig aus dem Nähkästchen plaudern. Erzähl!

Doris: Hast Recht, also: Eine Klientin kam mit einer Kiefersperre und nach der Sitzung war diese Blockade gelöst, der Kiefer bewegte sich wieder ganz normal. Ein Klient kam nach wochenlanger Obstipation, und später erzählte er mir, dass er es nach der Behandlung kaum mehr bis nach Hause geschafft habe. Er sass dann fast den ganzen Tag auf der Toilette. Und eine andere Klientin hatte Ängste und Depressionen, sie war in ärztlicher Behandlung, erhielt Psychopharmaka. Nach einem Jahr war sie medikamentenfrei und es ging ihr wieder gut.

Chris: Mir kommen da gerade zwei Geschichten in den Sinn, beide mit Schlafstörungen: Ein Klient ist jede Nacht aufgestanden, um etwas zu essen, er war jeweils so hungrig, dass er nicht mehr weiterschlafen konnte. Nach der dritten oder vierten Sitzung hat er angerufen und gesagt, dass er das erste Mal seit langer Zeit durchgeschlafen habe und der Hunger sei erst am Morgen gekommen. Und das zweite Beispiel ist eine 21-jährige Frau, die seit drei Jahren keine Nacht länger als zwei Stunden am Stück geschlafen hatte. Sie hat mir am Morgen nach dem ersten Shiatsu eine SMS geschickt, dass sie am Abend ins Bett gefallen und erst um fünf Uhr früh wieder aufgewacht sei.

Doris hatte das vorher angesprochen, das ist schon noch interessant: Was heisst es, dass die KlientInnen für den Erfolg bereit sein müssen?

Chris: Jede Therapiesitzung heisst ja auch, dass die KlientInnen einen Prozess mit sich selber, mit ihrem Thema angehen. Die Bereitschaft dazu zeigen sie schon dadurch, dass sie darüber sprechen, nachdenken und sich berühren lassen. Es kommt was ins Rollen und bringt eine Veränderung und im guten Fall eine Verbesserung.

Doris: Ja, genau, und dieses Prozesshafte, das kann ich halt nur anstossen und unterstützen. Wer zum Beispiel nicht einschlafen kann, weil sich die Gedanken im Kreis drehen, muss vielleicht auch in seiner Umwelt und im Alltag etwas ändern, vielleicht sogar sehr Einschneidendes. Und um so weit zu kommen, muss man selber durch den Prozess und zuallererst die Bereitschaft dazu aufbauen, das kann einem ja niemand abnehmen. Als Shiatsu-Therapeutin habe ich die Möglichkeit, diese KlientIn auf der energetischen Ebene zu erden, ihr Sicherheit anzubieten und sie aufzumuntern, ihre Thematik zu erkennen und somit Veränderungen zuzulassen. Deshalb sagen wir, dass ein Erfolg nicht nur von der Shiatsu-TherapeutIn abhängt.

Was ist das Geheimnis von Shiatsu? Eure KlientInnen liegen ja nur da, haben sogar ihre Kleider an, und ihr drückt ja eigentlich nur gewisse Stellen und streicht an Armen oder am Rücken entlang?

Chris: Wenn man uns zuschaut, sieht man genau das, was du da beschreibst. Und diese Stellen sind Punkte und Meridiane. Shiatsu geht davon aus, dass Beschwerden daher kommen, dass die Energie, das Qi, nicht richtig durch die Meridiane fliesst. Deshalb arbeiten wir an den Meridianen und den Punkten darauf, um das Qi, wieder ungestört fliessen zu lassen. Das kann man auf viele Arten erklären oder nachlesen, wie alles genau abläuft, es gibt Bücher, Flyer, das Internet. Da geht es natürlich immer um Grundsätzliches, um das Allgemeine. Trotzdem ist und bleibt Shiatsu individuell. Jede KlientIn, jede Sitzung ist anders.

Doris: Ja, wir drücken nicht einfach nur gewisse Punkte oder berühren nur gewisse Meridiane, das sind keine mechanischen Abläufe wie bei einer Maschine. Wir Shiatsu-TherapeutInnen arbeiten sehr bewusst mit dem Qi, den Meridianen, den Punkten. Ich weiss, oder gehe zumindest davon aus zu wissen, was genau dieser Punkt, dieser Meridian, diese Körperstelle in genau diesem Moment von mir als Therapeutin braucht. Dementsprechend drücke oder bewege ich diese Stelle oder streiche, halte, verbinde sie mit einer anderen Stelle. Das hat mit dem Qi zu tun, dieser Energie. Shiatsu ist Kommunikation auf dieser energetischen Ebene.

Chris: Und das führt sogar dazu, dass es nicht einmal bei jeder TherapeutIn den gleichen Ablauf hat. Das finde ich schön und spannend.

Wie geht ihr mit Misserfolgen um? 

Chris: Es gibt keine Therapie, die für jedermann ist, und vielleicht ist die KlientIn ja wirklich noch nicht bereit. Aber unabhängig davon: Es ist auch mal ein Ausprobieren. Und wenn ich als Therapeutin merke, dass es keine Verbesserung gibt, dann schlage ich eine andere Therapieform vor, die vielleicht geeigneter ist. Es kann auch sein, dass ich eine andere TherapeutIn empfehle. 

Doris: Und manchmal ist es gar nicht so klar. Mir scheint Misserfolg oft relativ zu sein. Ein Beispiel: Eine KlientIn kommt mit Rückenproblemen. Während der Therapie verändert sich bei den Rückenschmerzen nichts, da hätten wir den Misserfolg. Dafür verbessert sich aber der Schlaf, und da wäre also doch ein Erfolg. Ich sage meinen KlientInnen immer, dass der Körper seine eigene Intelligenz hat und für sich am besten weiss, wo Veränderung zuerst geschehen kann. Ich rate ihnen, sich gut zu beobachten und sich überraschen zu lassen. Letztendlich liegt es dann bei der KlientIn, was Misserfolg oder Erfolg ist. 

Welche Rolle spielt eigentlich das Gespräch in eurer Shiatsu-Therapie?

Chris: Das Gespräch ist für mich sehr wichtig. Es ist der Anfang, der Einstieg, das Anknüpfen an die letzte Sitzung, das Loslassen oder noch vieles mehr. Es gehört für mich dazu wie der Vorspann eines Films. Manchmal mache ich meine KlientInnen auch auf ihre Gesundheitskompetenzen aufmerksam, zeige Übungen und Meditationen, das hilft auch oft.

Doris: Es gibt Menschen, die reden nicht gerne über sich. Oft kommen sie eben genau deswegen ins Shiatsu, weil es nicht zwingend ein Gespräch braucht. Und als Shiatsu-Therapeutin erhalte ich die Informationen, die ich benötige, über ihre Körper. Wenn einer KlientIn die Befragung unangenehm ist, lassen wir sie bleiben. Trotzdem gibt es auch den nahezu umgekehrten Fall, und Worte sind für eine KlientIn fast noch heilsamer als die Shiatsu-Arbeit an sich. Du siehst, so individuell die Bedürfnisse der KlientInnen sind, so individuell ist Shiatsu mit seinen Möglichkeiten, auf diese Bedürfnisse einzugehen.

Was ist das Schöne an eurem Beruf als Shiatsu-TherapeutIn?

Chris: Einerseits ist es wunderbar, mit Menschen auf dieser Ebene zusammenzuarbeiten, und andererseits ist das Geben eines Shiatsu auch für mich ein Losgelöst-Sein, ein In-der-Stille-Sein. Ich gönne mir ja selber auch gerne ab und zu ein Shiatsu, und für Momente bin ich wie auf Wellen getragen, geradezu in einer anderen Atmosphäre, und ich fühle mich nachher entspannt und wie neu gerichtet. Das höre ich auch oft als Rückmeldung. Fast immer kommen die KlientInnen mit Vorfreude. Eigentlich kenne ich niemanden, die oder der sich auf ein Shiatsu nicht freut.

Doris: Das Schöne? Einfach alles. Die Begegnung mit den verschiedensten Menschen, den verschiedensten Themen. Das Vertrauen, das mir diese Menschen entgegenbringen. Sie als Vertrauensperson begleiten zu dürfen, in ihren Nöten und Ängsten. Die gemeinsame Freude, wenn es ihnen dann besser geht. Und natürlich auch: eine eigene Praxis zu haben und meine eigene Chefin zu sein. Das alles ist wirklich das Schönste, wie seltsam sich das auch anhören mag.

Danke, Chris und Doris, für das Gespräch!

 

Christina – Chris – Brunner ist diplomierte Shiatsu-Therapeutin und «Naturheilpraktikerin mit eidgenössischem Diplom in der Fachrichtung TCM mit Schwerpunkt Akupunktur/TuiNa» sowie «KomplementärTherapeutin OdA KTTC Methode Shiatsu»; Doris Mutter ist diplomierte Shiatsu-Therapeutin bzw. «KomplementärTherapeutin OdA KTTC Methode Shiatsu». Chris führt ihre Praxis in Küssnacht am Rigi, Doris in Hochdorf. Beide unterrichten an der Heilpraktikerschule Luzern.

https://www.heilpraktikerschule.ch/newsroom/news-detail/news/2016/04/29/ich-wollte-einen-beruf-der-mich-erfuellt