«Wir können tief in die Kiste greifen»
Luzern, 04.12.2013 – Auf die Wirkung der Chinesischen Arzneimittel kann sie sich verlassen: Regula Suter setzt sie bei fast allen PatientInnen ein, viel häufiger sogar als Akupunktur. Ebenfalls berichtet Regula von den Einsichten, die sie während ihres Praktikums in China gewann.
Regula, du hast dich schon während deiner Lehre mit Kräutern auseinandergesetzt?
Ja, als Drogistin kenne ich die Arbeit mit Kräutern, Tropfen und Tinkturen, das hatte mich damals schon sehr interessiert.
Das heisst, in der Drogerie kann ich schon eine individuelle Rezeptur erhalten?
Genau, in vielen Drogerien ist es möglich, eine individuelle Rezeptur zu erhalten. Natürlich hängt es immer vom Wissen und Knowhow des Drogisten ab. Und jetzt als TCM-Therapeutin kann ich ganz individuell auf die PatientIn eingehen, Rezepturen herstellen, die äusserst spezifisch sind, und wie ein Detektiv einen Fall lösen.
Wie ein Detektiv?
Ja, damit nämlich eine Rezeptur wirkt, muss ich die Informationen, die mir eine PatientIn gibt, zu einem klaren Bild zusammenfügen. Das korrekte Chinesische Muster ist entscheidend für eine harmonisch abgestimmte Rezeptur.
Was hat dich auf die Idee gebracht, dich mit TCM auseinanderzusetzen?
Ich habe damals eine Übung zur Entspannung gesucht, und meine Mutter hat mich zum Tai Chi/ QiGong mitgenommen. Da habe ich tatsächlich das Qi gespürt, und das ist unglaublich faszinierend. Und schlussendlich hat mich das Ganzheitliche von Körper/ Geist/ Seele überzeugt. Zusätzlich wusste ich, dass ich mit Menschen arbeiten wollte, und die alternative Medizin hat mich sehr fasziniert. An ihr schnuppern konnte ich ja bereits als Drogistin.
Und was hat dich dann zur Chinesischen Arzneimitteltherapie geführt?
Die Arzneimitteltherapie war damals Bestandteil der Ausbildung zur AkupunkteurIn. Sie gehörte dazu, also lernte man sie. Eigentlich waren mir die westlichen Kräuter viel vertrauter, doch mein Lehrer arbeitete nicht nur mit Pinyin...
...also den chinesischen Namen für die Kräuter...
...sondern auch mit den pharmazeutischen Namen. So habe ich gemerkt, dass ich viele Kräuter von meiner Lehre her ja schon kannte. In der TCM werden diese Kräuter aber ganz anders eingesetzt.
Inwiefern?
Die zu behandelnden Krankheiten sind häufig viel tiefer, schwerwiegender und komplizierter. Die Dosierung der Arzneimittel, die Abkochung, das Ritual, die speziellen Mittel wie Kräuter, Mineralien und tierische Substanzen, all das begann mich so richtig zu faszinieren. Das ist eindeutig mehr als Tee trinken und abwarten, dass es besser wird. Jetzt kann ich wirklich etwas bewegen und verändern.
Ist es nicht seltsam, mit tierischen Substanzen zu arbeiten?
Schon ein wenig. Aber tierische Substanzen wirken halt wirklich sehr stark.
Hast du ein, zwei Beispiele?
Ja, auf chinesisch Di Long, Quan Xie oder Chan Tui. Das sind der Regenwurm, der Skorpion und der Zicadenpanzer. Ich verwende sie aber nur, wenn es wirklich keine andere Möglichkeit mehr gibt und das Potential der pflanzlichen und mineralischen Substanzen ausgeschöpft ist. Meine PatientInnen werden immer informiert und aufgeklärt.
Das mit dem Tee trinken und abwarten, sagst du das in Abgrenzung zu Kräutern, die mir in der Drogerie empfohlen werden?
Nein. Die Drogerie hat viele Möglichkeiten. Es ist eher ein Sprichwort, nicht länger abzuwarten, sondern effektiv etwas für die Gesundheit zu tun. Die Arzneimittel haben eine Wirkung und ich weiss, was ich in welcher Zeit von den Mitteln erwarten darf. Die Therapie soll so effizient wie möglich ausfallen.
Hast du während deiner Ausbildung noch gearbeitet?
Ja, ich hatte das Glück, während der Ausbildung bei Lian Chinaherb...
...das ist einer der wichtigsten Lieferanten von Kräutern und Arzneien...
...als Fachperson TCM zu arbeiten. Der tägliche Umgang mit Kräutern half mir sehr, sie zu lernen und mein Wissen zu vertiefen.
Was macht es so schwierig, diese Arzneien zu lernen?
Es ist halt Chinesisch. Wir behandeln nicht Krankheiten, sondern Muster. Die Kräuter haben andere Wirkungen, als wir sie kennen, und die Differenzierung nach Geschmack, Temperatur und Zusammenwirken der verschiedenen Kräuter ist sehr komplex. Die Mittel sind mehr als die Summe des Ganzen. Ich muss die Arzneien lernen und kann nicht nach Gefühl arbeiten. Das ist sehr lernintensiv.
Wie findest du das System der HPS Luzern, also die Arzneien und Rezepturen entlang der Wirkungskategorien zu unterrichten?
Das finde ich sehr sinnvoll, da man ähnliche Kräuter besser unterscheiden kann. Die Gemeinsamkeiten werden unterstrichen, das Lernen fällt leichter.
Du unterrichtest Chinesische Arzneimittel schon seit längerem. Was hat dich dazu bewegt, jetzt auch an der HPS Luzern zu unterrichten?
Die HPS Luzern steht ja eher für West-TCM, und dass sie endlich Chinesische Arzneimittel in ihr Angebot aufgenommen hat, freut mich riesig. Auch wie die Module aufgebaut sind, überzeugt mich. Und da ich ja sozusagen um die Ecke wohne, passt einfach alles zusammen.
Für dein Praktikum bist du sogar nach China gegangen. Wie war das?
Ja, dieser Aufenthalt in China war sehr aufschlussreich. Eigentlich denken wir ja, dass die Chinesen hauptsächlich mit Akupunktur behandeln. Doch was ich da erlebte, war völlig anders: 80% der Behandlungen wurden mit Chinesischen Arzneimitteln durchgeführt. Akupunktur hat da einen Stellenwert wie bei uns die Physiotherapie, also zwar wichtig, aber ergänzend. Die richtig spannenden Fälle wurden in den verschiedenen Departementen behandelt.
Warum bist du von Chinesischer Arzneimitteltherapie so begeistert?
Begeistert, ja das bin ich definitiv. In meiner Praxis behandle ich die allermeisten meiner PatientInnen mit Kräutern, zusätzlich mit Akupunktur, wo es nötig ist. Die Arzneimittel sind mein Standbein, da fühle ich mich richtig zu Hause. Ich kann mich auf die Wirkung verlassen, ich weiss, dass etwas passiert und was passiert. Die TCM-Kräuter wirken aber häufig sehr stark. Also, wenn es nötig ist, können wir tief in die Kiste greifen.
Wem würdest du ein solches Studium empfehlen?
Jeder TCM-TherapeutIn, die mehr aus ihrer Praxis herausholen möchte. So habe ich die Möglichkeit, auch Leute zu behandeln, die Angst vor Nadeln haben oder nicht wöchentlich in die Therapie kommen können.
Danke für das Gespräch, Regula.
Nach ihrer Lehre zur Drogistin ist Regula Suter-Estermann, Jahrgang 1976, in die Welt der TCM eingetaucht und hat Akupunktur und Chinesische Arzneimittel studiert. Daneben arbeitete Regula als TCM-Fachperson bei der Heilkräuterapotheke Lian Chinaherb AG, spezialisiert auf Rezeptmischungen gemäss chinesischer Medizin. Ihre Praxis führt sie seit 2005 in Horw bei Luzern; ausserdem doziert Regula Akupunktur und Chinesische Arzneimittel an verschiedenen Institutionen, ab 2014 an der Heilpraktikerschule Luzern.
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